Fast acht Monate plagt sich die Welt nun mit dem Corona-Virus herum, in Niedersachsen gibt es keine Ausnahme. Etliche Landtagssitzungen beschäftigten sich schon mit dem Thema, aber das Muster war bisher immer wieder gleich: Die Regierung – meistens in Gestalt des Ministerpräsidenten – hielt eine Regierungserklärung, die Vorsitzenden der Landtagsfraktionen reagierten darauf in einer längeren Aussprache. Das war es dann meistens, wenn es um die Pandemie ging – abgesehen von einigen dringlichen Anfragen, in denen meistens Sozialministerin Carola Reimann (für die Gesundheitsaspekte), Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (für die Hilfen an die notleidenden Branchen und Unternehmen) und Finanzminister Reinhold Hilbers (für den Umgang mit massiven Steuerausfällen) Rede und Antwort stehen mussten.

In der kommenden Woche nun soll es erstmals anders sein. Die vor allem von FDP und Grünen immer wieder vorgetragene Kritik, der Landtag werde zu schlecht über die Corona-Politik informiert und zu wenig an der Rechtsetzung beteiligt, hat inzwischen auch Wirkung bei SPD und CDU gezeigt. Beide großen Fraktionen klangen in der Sondersitzung des Landtags vergangene Woche nachdenklich – und durchaus auch entgegenkommend. Man müsse überlegen, sagten sie, wie man vielleicht doch eine stärkere Einbindung des Landtags gewährleisten kann.

Bislang aber rührt sich an der Dominanz der Exekutive nichts: Maßgeblich für die Einschränkungen und Auflagen, so die Schließung von Restaurants und Einrichtungen und die Maskenpflicht, ist eine Verordnung der Landesregierung, in den meisten Fällen ausgesprochen durch das Sozialministerium. Zwar wird den Landtagsfraktionen seit einigen Monaten der Entwurf der geplanten Verordnung zuvor übermittelt, sie können auch Hinweise und Anregungen dazu abgeben – aber was am Ende dann festgelegt wird, entscheidet immer noch die Landesregierung allein hinter verschlossenen Türen. Die jüngste Entwicklung zeichnet sich noch dadurch aus, dass sich die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten gemeinsam auf weitgehend bundesweit einheitliche Vorgehensweisen verständigt hatten. Die Anwendung ist dann je nach Infektionslage im Landkreis und in der kreisfreien Stadt unterschiedlich.

Ist bald Schluss mit der reinen Verordnungspolitik?

Die spannende Frage, die sich jetzt stellt, lautet so: Wird von dieser reinen Verordnungspolitik, die in der Hoheit der Landesregierung als Exekutive liegt, zugunsten einer parlamentarischen Beteiligung an der Normensetzung abgewichen? Die Koalition aus SPD und CDU hält sich zu dem Thema öffentlich noch zurück, denn noch ist die Sache wohl nicht ausdiskutiert. Der Weg aus Baden-Württemberg, wo der Landtag erst die Hoheit für diese Fragen an sich gezogen und sie dann gleich als zeitlich begrenzte Ermächtigung an die Landesregierung zurückgegeben hat, wird bei den Koalitionären in Hannover nicht als glücklichster Weg bezeichnet – denn der Effekt ist der gleiche wie vorher, an den tatsächlichen Zuständigkeiten ändert sich dadurch wenig.

Wie aber kann es sonst laufen? Die Grünen-Landtagsfraktionsvorsitzende Julia Hamburg und ihr parlamentarischer Geschäftsführer Helge Limburg haben gestern einen Vorstoß vorgestellt, der die übrigen Fraktionen im Landtag zumindest in Zugzwang setzen dürfte. Sie weichen von der sonst üblichen Vorgehensweise ab, dass jede Fraktion in jeder Plenarwoche maximal zwei Entschließungsanträge einreichen soll – damit der Parlamentsbetrieb nicht überfordert wird. Die Grünen haben nun zehn Einzelanträge für Entschließungen formuliert, die sich allesamt um Änderungen der aktuell verhängten Corona-Verordnung drehen.

„Wir werden außerdem eine sofortige Abstimmung beantragen“, sagte Hamburg. Das heißt: Wenn nicht mindestens 20 Abgeordnete widersprechen, muss sofort darüber abgestimmt werden. Sollten aber 20 oder mehr Abgeordnete mit diesem eiligen Verfahren nicht einverstanden sein, gehen die Anträge ihren üblichen Weg – und werden erst einmal in den folgenden Wochen in den Fachausschüssen des Parlaments diskutiert, bevor sie dann im nächsten oder übernächsten Plenum endgültig zur Entscheidung anstehen – zu einer Zeit also, in der alles schon wieder inaktuell geworden sein kann.

Die Schritte, die von den Grünen gefordert werden, betreffen die ganze Breite der Corona-Einschränkungen: Zoos und Tierparks sollten wieder öffnen, damit die Menschen genügend Bewegungsmöglichkeiten in der Natur haben „und sich nicht auf den Hundeauslauf-Wiesen stapeln“ (Hamburg). Bibliotheken sollten wieder öffnen können, da sie ebenso wie die Buchgeschäfte als Einrichtungen zum Erwerb von Bildung dienen. Alleinstehende sollten von der Regel, dass sich nur Personen aus zwei Haushalten treffen dürfen, ausgenommen werden – hier solle man bis zu vier Haushalte zulassen.

Der Schulbusverkehr solle stärker daraufhin kontrolliert werden, ob es hier zu Überfüllungen und zu geringe Abstandshaltung kommt. Falls ja, solle das Land den Kommunen Geld für die Anmietung von Fernbussen geben – oder erlauben, einen gestaffelten Schulbeginn in ihren Schulen einzuführen. Außerdem sollten neben den Gesundheits- auch die Gewerbeaufsichts- und Ordnungsämter gestärkt werden. Nur ausreichende Kontrolle der Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln, etwa in Fußgängerzonen, garantiere eine Atmosphäre, in der sich die Menschen auf Dauer auch an die Auflagen halten.


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Das Forderungspaket der Grünen kann nun als Test aufgenommen werden: Lässt sich die Große Koalition nicht darauf ein, werden Grüne und FDP vermutlich mit dem Vorwurf reagieren, die Bereitschaft zur stärkeren Parlamentsbeteiligung sei nur vorgeschoben, aber nicht ernst gemeint. Willigen SPD und CDU aber in eine sofortige Abstimmung ein und stimmen womöglich dem einen oder anderen Vorschlag zu, so dürfte die Landesregierung gezwungen sein, die betreffenden Details in der Verordnung zu ändern. Die Grünen – und mit ihnen die FDP – könnten das als großen politischen Erfolg verkaufen. Aber gönnt die Große Koalition ihnen den Erfolg?

Noch ein anderes Problem macht die Lage komplizierter: Da die Corona-Krise wie eine Naturkatastrophe wirkt, in der schnell und lokal begrenzt entschieden werden muss, ist die Krisenbewältigung nur schwer mit intensiven und gründlichen Debatten, die eine Parlamentsentscheidung naturgemäß begleiten, zu vereinbaren. Oft müssen Vorgaben schnell verschärft oder in ihrer Ausprägung geändert werden – und das ist mit den Zeiterfordernissen von Landtagsberatungen kaum zu vereinbaren. So gut möglich es im Einzelfall sein kann, über detaillierte Einschränkungen im Nachhinein zu debattieren und diese womöglich dann noch zu ändern, so schlecht kann ein solcher Weg grundsätzlich vor jeder neuen Beschränkung gegangen werden – schon wegen der Schnelligkeit nicht, in der auf die Infektionslage reagiert werden muss. (kw)