„Ein Versuch war es sicher wert“ – so oder ähnlich werden die Vertrauten von Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius auf dessen Niederlage im Ringen um das Amt des SPD-Bundesvorsitzenden reagieren. Ob der gestandene SPD-Politiker den Trost wirklich nötig hat? Pistorius, einst Oberbürgermeister von Osnabrück, gilt seit jeher als ein Freund klarer Worte, engagierter Debatten und robuster Entscheidungen. Wenn es zu ruhig und gemütlich wird, fühlt er sich nicht mehr wohl. Dann stachelt er schon mal. Der Mann kann austeilen – und eben auch einstecken.

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Deshalb war der Ausflug in die bundespolitische Welt für ihn vermutlich auch ein Schritt, die zuweilen als langweilig empfundene Landespolitik mal für eine gewisse Zeit zu verlassen. Solche Expeditionen in ein eher fremdes Terrain können riskant sein – aber Pistorius ist niemand, der brenzligen Situationen vorher aus dem Weg geht. Eher sucht er sie.

Das Team Köpping/Pistorius landete im SPD-internen-Wettbewerb nur auf dem vorletzten Platz – Foto: Boris Pistorius; Olaf Kosinsky; Fridolin Freudenfett

Dennoch dürfte die Rückkehr des als Bundesvorsitzenden gehandelten SPD-Politikers in die Niederungen der Landespolitik nicht einfach werden. Das liegt vor allem an den Bedingungen, die sich seit etwa einem Jahr durchaus verändert haben. In seiner ersten Amtsperiode als Innenminister, von 2013 bis 2017, hatte er unbestreitbar die innenpolitische Dominanz. Die Grünen als Koalitionspartner kamen ihm hier selten in die Quere – und die Koalitionsvereinbarung zur Entschärfung des Polizeigesetzes, die 2013 geschlossen wurde, konnte das Innenministerium so lange verschleppen, bis die rot-grüne Regierungszeit schon wieder abgelaufen war.

Heute ist es anders, die CDU legt in der Innenpolitik großen Ehrgeiz an den Tag und hat mehr als einmal, etwa beim Polizeigesetz oder beim Gesetz zur Cyber-Sicherheit, dem eher zögerlichen Innenministerium Beine gemacht. Die CDU wirkt zuweilen wie der Treiber in diesem Feld, der Minister findet sich folglich in der Rolle des Getriebenen wieder. Das schmeckt ihm sichtlich nicht.

Pistorius scheint gestutzt worden zu sein

Noch etwas anderes ist im Herbst 2019 anders als im Herbst 2018: Nach dem Sommertheater um den möglichen und dann abgesagten Wechsel von Umweltminister Olaf Lies (SPD) an die Spitze des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft scheint SPD-intern die Rangordnung hinter Ministerpräsident Stephan Weil geklärt zu sein.

Viele denken, Lies sei nach seinem Verbleib in Hannover nun zwangsläufig die Nummer zwei, also der Kronprinz. Pistorius, der vor einem Jahr unausgesprochen auf gleicher Höhe gehandelt worden war, scheint gestutzt worden zu sein. Das ist zwar nur die äußere Wahrnehmung, denn über wirkliche Absprachen wissen nur wenige etwas – aber der Schein ist in der Politik mindestens so bedeutend wie der Inhalt.

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Eben noch hat sich Pistorius abgerackert mit der Absicht, im bundesweiten SPD-Parteivolk Eindruck zu hinterlassen. Er hat Willy Brandt imitiert, er hat sich – heftiger als alle anderen – an der AfD abgearbeitet, er hat seine kommunalpolitische Verwurzelung herausgestellt. Nun muss er plötzlich wieder kleine Brötchen backen. Die großen innenpolitischen Gesetzesvorhaben sind schon auf den Weg gebracht, die Herausforderung besteht nun eher im Tagesgeschäft, in der Routine und der Detailarbeit, für die Pistorius eigentlich nicht geschaffen ist.

Wie sehr belastet das einen, der sich schon auf neuen, ihm bisher unbekannten Pfaden gesehen hat? Den früher oder später einsetzenden Spott der Opposition im Landtag („Da spricht der gescheiterte Nahles-Nachfolger“) wird Pistorius locker überstehen. Zum einen deshalb, weil die Opposition klein ist, zum anderen, weil er jedem entgegnen kann: „Ich habe immerhin den Mut gezeigt, etwas neues zu wagen.“ Hier ist Pistorius tatsächlich jemand, der aus einer Masse an eher vorsichtigen, ja übervorsichtigen Politikern herausragt. Aber was Pistorius vermutlich zu schaffen machen wird, ist die Qual des Alltagsgeschäfts in Hannover, der er eigentlich entfliehen wollte.

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Welchen Rat kann man ihm nun geben? Pistorius, der an seinem Amt als Innenminister neuen Gefallen finden soll, bräuchte eine neue Herausforderung. Das kann ein Projekt sein, das Kräfte bindet und einen geschickten Politiker an der Spitze erfordert – etwa eine völlig neue Polizeireform mit gravierenden Veränderungen an Haupt und Gliedern? Die schwieriger werdende Haushaltslage könnte einen Anschub dafür geben. Möglich wäre auch, dass sich sein neues Projekt weniger auf das Ministerium und mehr auf seine eigene politische Zukunft bezieht.

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So könnte Pistorius einen mittelfristigen Wechsel in die Bundespolitik vorbereiten, zumal er jetzt ja schon im SPD-internen Wahlkampf Gefallen an der Berliner Bühne gefunden haben dürfte. Die Chancen stehen nicht schlecht: Nach dem Rückzug von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel steht nur noch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil als prominenter Sozialdemokrat aus Niedersachsen vorn, daneben noch Matthias Miersch aus Hannover. Neben ihnen könnte sich Pistorius (als Kandidat des Bezirks Weser-Ems) durchaus im Wahlkampf gut machen. Und auf Bundesebene könnte es schneller zu Neuwahlen kommen als alle glauben. (kw)