10. Mai 2022 · 
Kultur

Wie Olaf Scholz und Herbert Diess von ihren Teams in Szene gesetzt werden

Braucht ein Bundeskanzler einen eigenen Video-Podcast? Als Angela Merkel 2006 mit ihrem Kanzlerinnen-Podcast online ging, wurde sie zuerst belächelt. Die Kanzlerin wagt sich ins Neuland vor, hieß es immer wieder spöttisch – und sie wählt zielsicher ein falsches Format, vollkommen aus der Zeit gefallen. Doch Analysen gaben ihr schon bald recht. Denn das Video-Format, bei dem die Kanzlerin frontal in eine Kamera gesprochen und in Kurzform ihre Sicht der Dinge dargestellt hat, wurde nicht nur überraschend häufig angeklickt, sondern stellte sich als regelrechte „Zitat-Maschine“ heraus. Viel wichtiger noch als die Menschen, die Merkel damit im Social Web erreichen konnte, waren die Journalisten, die sich die Videos angesehen und daraus zitiert haben. Ihr späterer Herausforderer Peer Steinbrück (SPD) hatte so etwas nicht und musste nicht nur, aber auch deshalb viel härter darum kämpfen, in der Öffentlichkeit mit seinen Botschaften wahrgenommen zu werden.

Carline Mohr (rechts) und Michael Manske (Mitte) verraten beim Deutschen PR-Tag in Hannover, wie die Social-Media-Abteilungen der Bundes-SPD und des Volkswagen-Konzerns arbeiten. | Foto: STAGEVIEW/Pedro Becerra für den Deutschen PR-Tag

Wäre der Kanzler-Podcast also nicht auch etwas für den Merkel-Nachfolger Olaf Scholz? Carline Mohr, seit 2019 in der SPD-Zentrale, dem Willy-Brandt-Haus, für die Leitung des Newsrooms zuständig, findet die Grundidee zumindest nicht schlecht. „Ich habe den Kanzler-Podcast bei uns gepitcht“, sagte Mohr beim deutschen PR-Tag, der Anfang Mai in Hannover ausgerichtet wurde. (Pitchen, um das hier kurz zu erklären, sagt man in der jungen Wirtschaftswelt, wenn man ein Konzept vorstellt.) Allerdings hält Mohr den Kanzlerinnen-Podcast, so wie er mit Merkel gemacht wurde, für überholt und auch für nicht ganz passend für ihren Kanzler. „Ich habe lange gebraucht, um herauszufinden, was Olaf Scholz braucht“, schilderte Mohr, die sich darauf eingelassen hatte, für ihre Partei einen zunächst aussichtslosen Wahlkampf zu bestreiten, der dann bekanntlich doch eine andere Wendung genommen hat.

„Olaf Scholz muss erst warm werden, um emotional sprechen zu können.“

Mit Olaf Scholz (der wegen seiner gestanzten Sätze auch schon wenig charmant als Scholz-O-Mat bezeichnet wird) müsse man erst einmal ein bisschen ins Gespräch kommen, weiß sie nun. „Er muss warm werden, um emotional sprechen zu können.“ Die frontale Ansprache in Richtung einer Kamera mit einem imaginierten Millionenpublikum, wie das die Kanzler schon seit Jahrzehnten für ihre Neujahrsansprache machen müssen, ist deshalb nichts für den derzeitigen Amtsinhaber. Mohr meint, es sei längst möglich, einen Podcast mit einem kalkulierbaren Aufwand auch zu „featuren“: „Olaf Scholz braucht einen Menschen, der mit ihm spricht, und gerne auch mal Gegenwind.“

Seit 2019 leitet die frühere Journalistin Carline Mohr den Newsroom im Willy-Brandt-Haus. | Foto: STAGEVIEW/Pedro Becerra für den Deutschen PR-Tag

Für Mohr passt ein solches auf Dialog ausgerichtetes Format auch deshalb besser in die aktuelle Zeit, weil es derzeit vielmehr darum gehe, Dinge zu erklären als zu verkünden. Nun könnte man einwenden, dass die Altkanzlerin durchaus auch die eine oder andere Entscheidung ihrer Amtszeit besser hätte erklären können. Doch Mohr meint damit nun speziell den Krieg in der Ukraine und die kommunikative Herausforderung, die sich aktuell daraus ergibt. Auch wenn die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung aus dem Kanzleramt oder dem Bundespresseamt gesteuert werde, sei jetzt in manchen Fällen auch die Parteizentrale gefragt, erklärte die Kommunikationschefin. Denn schließlich werde auch an diese Adresse immer wieder die Frage gerichtet, warum Olaf Scholz dieses oder jenes nun genau so gemacht oder nicht gemacht hat. „Unsere Aufgabe ist es, den Kanzler zu stärken.“

Vor ganz anderen Herausforderungen steht man unterdessen in der Kommunikationsabteilung von Volkswagen. Das Tal der Krisenkommunikation nach dem Dieselskandal habe man hinter sich gelassen, berichtete Michael Manske, der seit August 2020 für die CEO-Kommunikation des Autoherstellers verantwortlich ist und neben Carline Mohr auf dem Podium des deutschen PR-Tages saß. Dennoch stehe die gesamte Kommunikationsabteilung des Konzerns vor der „riesigen Challenge“, die Transformationsprozesse des Unternehmens nach innen und nach außen zu verkaufen. Die Umstellung auf Elektroautos sei dabei das eine, der ganze Software-Bereich noch mal etwas ganz anderes, schilderte Manske: „In den USA ist es für uns ein Riesensprung, in der Wahrnehmung der Menschen vom Produzenten von Bulli und Käfer zu einem Tech-Unternehmen zu werden.“

Michael Manske war früher Journalist und leitet heute die CEO-Kommunikation bei Volkswagen. | Foto: STAGEVIEW/Pedro Becerra für den Deutschen PR-Tag

Der Schlüssel für eine gelingende Kommunikation ist für Manske ebenfalls der Dialog – womit es doch eine Parallele zum politischen Geschäft in der SPD-Zentrale gäbe. Als er bei Volkswagen angefangen hat, sei er daher überrascht gewesen, dass die Kommunikation in den sozialen Netzwerken nur auf Senden programmiert gewesen ist. „Das war die verlängerte Werkbank für Pressemitteilungen, aber nicht ‚social‘.“ Auch deshalb hält Manske viel von Formaten, in denen sein Chef Herbert Diess ins Erzählen kommen kann. Einen Frontal-Podcast, wie den der Kanzlerin, kann er sich deshalb für seinen Boss nicht vorstellen. „Es ist noch nie dazu gekommen, dass wir Diess einfach vor eine Kamera gesetzt haben, und er spricht dann einfach“, erzählte Manske.

„Einen Autochef im Auto gab es vorher noch nicht. Früher hat man die immer nur für ein Foto vor das Fahrzeug gestellt.“

Stattdessen habe er eingeführt, den Konzernchef selbst in ein Auto zu setzen – und am besten nicht allein, sondern mit einem möglichen Gesprächspartner. „Einen Autochef im Auto gab es vorher noch nicht. Das klingt absurd, aber früher hat man die immer nur für ein Foto vor das Fahrzeug gestellt.“ Manske setzt seinen Chef jetzt selbst hinters Lenkrad, platziert eine Go-Pro-Kamera im Cockpit des Wagens und lässt diese einfach aufzeichnen, was passiert. „Da kommt dann der kleine Junge zum Vorschein, der einfach Spaß hat.“ Diese Authentizität ist es, die Manske herauszukitzeln versucht. „Diess steht zu dem, was er sagt“, erklärt er, und das komme am besten dann zur Geltung, wenn das Gespräch im Fluss ist. „Wenn man im Gespräch ist, und es nicht so meint, bricht das irgendwann. Das könnte man dann selbst mit einem nachträglichen Schnitt nicht mehr retten“, sagt der Kommunikationschef.

„Olaf Scholz kann sehr gut mit Menschen. Wie man ihn vor den Fernsehkameras kennt – so ist er nicht.“

Sowohl Manske als auch Mohr haben ihre Chefs bei solchen Gesprächsformaten schon mehrmals ganz gezielt in unangenehme Situationen manövriert – mit dem gewünschten Erfolg. Die SPD-Kommunikatorin etwa hat mit ihrem Team im Corona-Lockdown nach einem Format gesucht, mit dem sie ihren Kanzlerkandidaten zu den Leuten bringen konnte, wollte aber weg von den ewiggleichen langweiligen Online-Talks mit Genossen. Das Social-Media-Team der Sozialdemokraten hat daraufhin beispielsweise eine geschlossene Facebook-Gruppe mit 7000 Pflegekräften aufgetan, hat die Administratoren kontaktiert und ein digitales Gespräch „mit dem künftigen Bundeskanzler“ angeboten. Die Gruppe hat zugesagt, hat aber auch die Leitung des Gesprächs übernommen. „Das war natürlich ein absoluter Kontrollverlust für unsere Seite und bedeutete, dass Olaf Scholz die ganze Zeit nett, freundlich und geduldig bleiben musste“, sagte Mohr. Was dabei dann aber zum Vorschein kam, war genau das, was sie erzielen wollte: „Olaf Scholz kann nämlich sehr gut mit Menschen. Wie man ihn vor den Fernsehkameras kennt – so ist er nicht.“

Für Herbert Diess war es wie ein Sprung ins kalte Wasser, als er zur Eroberung der Herzen des Silicon Valley ein digitales Frage-Antwort-Format auf der Plattform Reddit absolvieren musste. 2400 Fragen seien für das Live-Format eingeschickt worden, erzählte Manske. Anschließend habe das Team aus den unangenehmsten Themenfeldern die schwierigsten Fragen ausgewählt. „Da ging es dann um die Uiguren in China oder Elon-Musk-Vergleiche – aber denen hat er sich dann gestellt“, berichtete der CEO-Kommunikationschef. Manske ist überzeugt, dass das der einzig richtige Weg ist: „Wer dem kritischen Diskurs aus dem Weg geht, schafft keine Glaubwürdigkeit bei allen anderen Themen.“

Dieser Artikel erschien am 11.5.2022 in Ausgabe #088.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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