Wie die Bauernbewegung ganz allmählich etablierter wird
Es war ein kurzes Intermezzo. Seit Oktober hatte Henriette Struß, Junglandwirtin aus Barsinghausen, in der großen Politik mitgemischt. Bald ein halbes Jahr lang agierte sie wie eine Politikerin, ihre Stimme wurde gehört, denn sie war die Cheforganisatorin und Sprecherin des neuen Bauern-Protestbündnisses „Land schafft Verbindung“ (LsV) in Niedersachsen. Vor wenigen Tagen erklärte sie ihren Rückzug.
Auslöser für diese Entscheidung waren anhaltende Debatten über den Umgang mit der rechtsgerichteten AfD. In einem Interview mit der Deutschen Presseagentur beharrte sie auf der verbands- und parteipolitischen Neutralität des Bündnisses. Die fehlende Abgrenzung wurde ihr von Kritikern als Sympathie für die AfD ausgelegt. Nach dem Interview kam es zu Schmähungen, auch ihre Familie wurde mit Anrufen drangsaliert, berichtete sie. Schließlich zog sie die Reißleine, das politische Geschäft soll nun nicht mehr ihres sein.
Wie geht es nun weiter bei „Land schafft Verbindung“? Das neue Gesicht des niedersächsischen Ablegers ist das von Henning Stegeman, eines 30-jährigen Landwirts aus Emlichheim (Landkreis Grafschaft Bentheim). Zusammen mit Ulrich Jerebic aus Northeim und einem dritten noch zu wählenden Mitglied bildet er das neue dreiköpfige Spitzenteam von „Land schafft Verbindung“ in Niedersachsen. Bislang war Stegeman die Nummer zwei hinter Henriette Struß, bei der jüngsten Demonstration in Hannover hat er an ihrer Seite durch die Kundgebung moderiert.
Auf derartige Großdemonstrationen oder auch Blockaden vor Lebensmittellagern wird das Protestbündnis vorerst aber verzichten. Nicht etwa, weil man jetzt eine gemäßigtere Form der Verhandlung bevorzugte, sondern weil man sich während der Corona-Pandemie auf die eigene Kernaufgabe beschränken will. Die Landwirte sollen das Corona-Virus nicht noch auf Großkundgebungen weiterverbreiten und so womöglich die Arbeit auf den Höfen zum Erliegen bringen. Die Verbraucher sollen zudem keine Sorge bekommen, dass die protestierenden Landwirte die Lieferkette sprengen.
„Es geht uns strikt um die Sache, der Bevölkerung die Lebensmittel zur Verfügung zu stellen“, erklärt Stegeman im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Das ist denn auch das Selbstverständnis der protestierenden Landwirte: Wir sichern die Versorgung mit Lebensmitteln, nicht Edeka oder Lidl. Als „lachhaft“ bezeichnet Stegeman dann auch Werbeanzeigen des Lebensmittelhandels, in denen Sätze stehen wie: „Wir kümmern uns darum, dass ihr satt werdet.“ Das ist in seinen Augen noch immer Pflicht und Privileg der Landwirtschaft und nicht des Handels, der die Bauern zu schlecht bezahle.
Klare Abgrenzung von der AfD
Doch wenn die Landwirte nun ihren Protest klein halten müssen, erwarten sie auch ein Entgegenkommen von der Politik. „Es ist nicht tragbar, dass von der Bundesregierung das gesamte öffentliche Leben runtergefahren wird und man dann trotzdem die Düngeverordnung so beschließt“, klagt Stegeman. Denn auch ohne Demos wollen die Landwirte ihren Protest anbringen – per Mail oder Telefon. Sie wollen die Möglichkeit bekommen, ihre Ausarbeitungen darlegen zu können. Allerdings beschränken sie sich dabei nun auf die Regierungsparteien.
„Wir müssen uns mit den Parteien beschäftigen, die an unserer Lage etwas ändern können, und das sind SPD und CDU“, sagt Stegeman. „Es bringt nichts, wenn wir uns mit Grünen oder FDP, AfD oder Linken an einen Tisch setzen.“ Einer Zusammenarbeit mit der AfD erteilt er ohnehin eine klare Absage. „Als LsV werden wir uns nie zu denen stellen, auch im Osten nicht.“ Auch Henriette Struß habe genauso gedacht, bekräftigt Stegeman. „Jeder von uns weiß, wie sie tickt. Jeder weiß, wie sie das in dem Interview gemeint hat.“
Politischer, aber keine festen Strukturen
Stegeman wirkt politischer als seine Vorgängerin. Dass es ihr an politischem Gespür gefehlt habe, bestreitet er aber. Er habe sich schon von klein auf mit Politik beschäftigt, erzählt der Junglandwirt im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Einer Partei gehöre er nicht an, wähle aber „aus verschiedenen Gründen“ CDU – was auf die Ausrichtung des Protestbündnisses aber keinen Einfluss haben soll. Auch in seiner Familie habe Politik immer eine Rolle gespielt, erzählt er. Der Cousin seines Vaters etwa ist Bürgermeister in Ringe (Landkreis Grafschaft Bentheim) und auch mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Albert Stegemann ist er sehr entfernt verwandt. Politisch geprägt hätten ihn aber sein Vater und sein Großvater. „Da kennt man dann die Zusammenhänge“, sagt Stegeman.
Über das Engagement bei „Land schafft Verbindung“ hat er jetzt schnell gelernt, dass einige Politiker klare Strukturen bevorzugten. Das Protestbündnis hat diese aber noch immer nicht. Man werde deshalb auf Bundesebene jetzt einen eingetragenen Verein gründen, erklärt er. Der niedersächsische Landesverband wird dann eine Untergliederung. Das würde auch das Abwickeln von Spenden oder die Versicherung für die Haftung bei den Großdemonstrationen vereinfachen. Eine festere Struktur, wie sie etwa der Bauernverband hat, will man aber nach wie vor nicht. „Wir sind ein sehr schneller, sehr beweglicher Haufen“, sagt Stegeman, ganz so wie schon seine Vorgängerin Struß. „Und das soll auch so bleiben.“
Annäherung ans Landvolk
Derweil wird die verbandspolitische Neutralität im Protestbündnis doch neu verhandelt. Auf Bundesebene haben LsV und Bauernverband erst kürzlich gemeinsam ein Konzept für eine Zukunftskommission zur Landwirtschaft an die Politik überreicht. Und auch im Kleinen rückt man wieder enger zusammen. So nimmt etwa Anthony Robert Lee, Organisator von LsV Schaumburg, auch als beratendes Mitglied an den Vorstandssitzungen vom Landvolk Hannover teil. Im vergangenen Jahr war es bewegungsintern noch zu einem handfesten Streit gekommen, weil sich die ursprüngliche Initiatorin Maike Schulz-Broers in Berlin mit Spitzenfunktionären des Bauernverbands getroffen hatte. Das widersprach den Grundsätzen des losen Zusammenschlusses von Landwirten. Zeitweise gab es daraufhin zwei Web-Auftritte von „Land schafft Verbindung“.
Doch das Verhältnis zu den Bauernverbänden scheint sich zu wandeln. „Die wenigsten sind der Meinung, dass wir ohne Landvolk weitermachen sollten. Die Frage ist nur, wie wir das tun“, sagt Lee im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Bei LsV hat sich ein Selbstbewusstsein entwickelt, auf das das Landvolk nun Rücksicht nehmen muss. „Das Landvolk hat vieles verschlafen. Das sehen sie aber auch ein“, sagt Lee. Neue Köpfe würden dort nun einiges aufrütteln. Doch LsV habe inzwischen viel erreicht. Eine Zusammenarbeit gebe es deshalb nur auf Augenhöhe. „Wir werden nicht nur die Demo-Abteilung des Landvolks sein und die führen dann die politischen Gespräche.“
Von Niklas Kleinwächter