Wie Computerprogramm die Polizei beim Sichten von Kinderpornos entlasten sollen
Von Niklas Kleinwächter
Als „hässliche Fratze der Digitalisierung“ bezeichnet Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) die rasante Zunahme von kinderpornografischem Material, das im Internet kursiert. Früher hätten solche Schriften, Bilder und Filme noch unter der Ladentheke gehandelt werden müssen. Heute jedoch seien Gleichgesinnte oftmals nur einen Mausklick voneinander entfernt. „Das ist kein neues Phänomen, aber die Digitalisierung wirkt wie ein Katalysator, wie ein Beschleuniger.“ Im Schutz der vermeintlichen Anonymität im Netz werde in Internetforen eine „irrationale, nicht vorstellbare Datenmenge“ ausgetauscht.
Im Jahr 2018 haben die Ermittlungsbehörden in Niedersachsen 1314 Terabyte Datenmaterial sichergestellt, berichtet das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen – wobei ein Terabyte etwa einer Million Bildern entspräche. Etwa ein Viertel davon sei tatsächlich auch belastendes Material. Damit die Ermittlungsbehörden bei der Sichtung nicht in der schieren Datenflut untergehen, setzt das LKA ab Februar auf künstliche Intelligenz (KI) bei der Auswertung. „Mit Personal allein ist die Herausforderung nicht zu bewältigen“, sagt Pistorius. Ein lernendes Computerprogramm soll zukünftig eine erste Vorauswahl des sichergestellten Datenmaterials übernehmen und so die Beamten bei der Auswertung unterstützen. Das mindere zum einen die psychische Belastung der Ermittler, zum anderen helfe das Verfahren auch den Opfern. Denn oftmals würden Missbräuche noch fortgesetzt, während die Polizei noch Material auswertet.
Die Datenmenge wächst – auch wegen des technischen Fortschritts
Die Zahl der bekannten Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern sei im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2018 um knapp 20 Prozent angestiegen, berichtet das LKA. Die Menge pornografischer Schriften, wie das in der Kriminalstatistik heißt, sei im selben Zeitraum sogar um 75 Prozent angewachsen. Die Gründe dafür seien unterschiedlich, erklärt Niedersachsens LKA-Präsident Friedo de Vries. Zum einen erhalte das Bundeskriminalamt (BKA) seit einigen Jahren vermehrt Informationen von Ermittlungsbehörden aus den USA, die das BKA an die Landesämter weiterreicht. Allein im vergangenen Jahr seien um die 100.000 Hinweise aus den Vereinigten Staaten gekommen. Zudem wurden im LKA selbst die „anlassunabhängigen Recherchen“ ausgeweitet. Auf diese Weise wird inzwischen also zunächst die Dunkelziffer besser ausgeleuchtet.
Zum anderen sorgen aber auch die technischen Möglichkeiten für eine rasante Vermehrung des tatsächlichen Bild- und Videomaterials. Das Smartphone als Kamera sei allgegenwärtig. Durch das sogenannte Sexting unter Jugendlichen, also das einvernehmliche Austauschen selbstgemachter Nacktfotos, entstehe viel kinder- und jugendpornografisches Bildmaterial, mit dem missbräuchlich gehandelt werden könne.
Niedersachsens leiste „Pionierarbeit“ mit eigener Software
Bereits 2017 hat Niedersachsen deshalb begonnen, mit eigenen digitalen Anwendungen auf die Zunahme der Kriminalität im Netz zu reagieren. Innenminister Pistorius spricht von „Pionierarbeit“, die in Hannover geleistet worden sei. Als erstes Bundesland habe Niedersachsen eine „Eigenentwicklung“ erarbeitet, die der „kaum noch händelbaren Datenmenge“ Einhalt gebieten soll, erklärt de Vries. Stattdessen beschäftigt das LKA nun drei Wissenschaftler, die Experten im Bereich der KI sind. Diese entwickelten unter anderem jene Software, die in Zukunft Kinderpornos erkennen soll. Dazu wurde das Programm in den vergangenen Jahren mit Datenmaterial gefüttert, das in der digitalen Asservatenkammer des LKA gespeichert ist. Werden nun neue Daten sichergestellt, erfolgt zunächst (wie bisher auch schon) ein automatisierter Abgleich mit dem bereits sichergestellten Material. Anschließend erst scannt die neue KI-Anwendung die Daten. Dabei sucht die Software nicht einfach nur nach nackter Haut, sondern interpretiert die einzelnen Bildszenen, erklärt Projektleiter Christian Bomert. So könne unterschieden werden, ob es sich um Alltagsbilder handele, oder ob pornografisches Material vorliege.
Die neue Methode soll den Auswertungsprozess in Zukunft deutlich beschleunigen. Wofür ein Ermittler ein gesamtes Arbeitsjahr bräuchte, schaffe ein Computer mit KI in weniger als drei Tagen, rechnet LKA-Präsident de Vries vor. Die tatsächliche Zeitersparnis lasse sich aber noch nicht in Tagen, Wochen oder Monaten beziffern, sagt er. Allerdings gehe es zunächst auch nur um die oberflächliche Beurteilung des Materials. Hat das Programm eine Vorauswahl getroffen, müssen also trotzdem noch Polizeibeamte die Detailauswertung übernehmen. Die KI zeige vielmehr nur auf, wo mit der Suche angefangen werden sollte. Auch ist die Software noch nicht in der Lage, in jedem Fall zwischen illegalem kinderpornografischem und legalem pornografischem Material zu unterscheiden. Die automatisierte Einteilung in weitere Klassen (also kinder- oder jugendpornografisch) soll später dazu kommen.
Noch müssen Polizeibeamte dennoch das Material sichten
Wenn die Software ab Februar in den niedersächsischen Polizeiinspektionen zum Einsatz kommt, beginnt zunächst eine einjährige Testphase. Im ersten Jahr werde man nicht blind auf die Technik vertrauen, erklärt de Vries. Das erwarte die Justiz auch zurecht. Bislang erkennt die Software in 96 Prozent der Fälle, wenn es sich um nicht-pornografisches Material handelt. Dateien mit pornografischem Inhalt werden aufgrund der weicheren Filter nur zu 89 Prozent verlässlich entdeckt. Deshalb werden auch in den nächsten zwölf Monaten parallel noch Ermittler wie bisher die Datenmengen händisch nach kinderpornografischem Material durchsuchen.
LKA-Präsident de Vries geht jedoch davon aus, dass in Zukunft nicht mehr das gesamte Material von Menschen gesichtet werden kann. Wenn die Datenmengen weiter zunehmen, müsse vielleicht eine gewisse Fehlertoleranz hingenommen werden. „Anders wird es nicht möglich sein.“