An der Börse würde man wohl „uneinheitlich“ sagen, bei der Wettervorhersage „wechselhaft“. Tatsächlich ist die Großveranstaltung der Niedersachsen-CDU in Steinhude, einem kleinen Fischerort am gleichnamigen Meer, von Widersprüchen geprägt. Da prallen viele Eindrücke aufeinander, die eigentlich so gar nicht zueinander passen. Wie das Wetter an diesem Tag. Kälter soll es werden, obgleich wir den 18. August haben. Regenschauer und Wind wird vorhergesagt, obwohl eben noch die Sonne mit  voller Kraft strahlte. Und dann ist das hier eine Urlaubsregion, direkt am Wasser, da will man in dieser Jahreszeit von schlechtem Wetter nun gar nichts hören – und Wahlkampf ist hier ungewöhnlich, er könnte rasch als störend empfunden werden. Immerhin fällt dann doch die ganze Zeit kein Tropfen vom Himmel.

Mehr als 1000 Menschen kamen zur Veranstaltung mit der Bundeskanzlerin in Wunstorf – Foto: GW

Der Platz vor dem Strandhotel ist gefüllt, es sind sicher mehr als 1000 Menschen hier. Aber was wollen sie? Die klar überwiegende Zahl besteht aus CDU-Anhängern oder zumindest -Sympathisanten, denn starker Applaus ist Merkel und den anderen führenden Parteivertretern, die hier sprechen, gewiss. Dann aber gibt es noch eine Gruppe von Störern, die während der Merkel-Rede unablässig versuchen, mit Zwischenrufen auf sich aufmerksam zu machen. Die Polizei ist gekommen, greift einmal sogar ein, als es ein kleines Gerangel gibt. Merkel kommentiert das von vorn mit den Worten: „Mal ganz ruhig, das bisschen Geschrei können wir aushalten.“ Die nächste Gruppe sind die Gäste, die an diesem Wochenende einen Ausflug ans Steinhuder Meer unternommen haben, vom Merkel-Besuch hier überrascht wurden oder ihn als willkommene Ablenkung begreifen. Manche sitzen an Tischen mit einem Glas Bier vor sich, manche unterhalten sich auch angeregt und nehmen die CDU-Akteure gar nicht weiter zur Kenntnis.

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So bemüht sich die Regie der Christdemokraten auch, die Töne nicht allzu kämpferisch, allzu aufrüttelnd zu setzen. Schon die aktuellen Umstände verbieten das, wegen der Anschläge in Spanien wird auf Musik verzichtet, nur zum Ende – eine CDU-Tradition – wird die Nationalhymne gespielt. Merkel tritt wenig später auf wie eine Verkäuferin in eigener Sache: „Am Wahlsonntag treffen Sie Ihre Entscheidung über Ihr Leben. Wir haben Ihnen dazu ein Angebot gemacht“, erklärt sie und fügt kurz darauf hinzu: „Gern möchte ich Sie um Ihr Vertrauen bitten, damit ich weitere vier Jahre Bundeskanzlerin bleiben kann.“ Ein „bisschen Erfahrung“ habe sie ja schon, aber nun gehe es um „die Schwelle zu etwas Neuem“, und sie glaube, „dass ich offen genug bin, dieses Neue auch zu regeln“. Die meisten Zuhörer klatschen freundlich, ihnen gefällt diese Geste aus einer Mischung von Bescheidenheit, Demut und ein wenig Understatement.

„Geschrei löst keine Probleme“, rief Merkel Störern während ihrer Rede zu – Foto: GW

Die Kanzlerin redet über die Rente, über die belastenden Steuerpläne „der Sozialdemokraten“, über die Fehler der Autoindustrie, die „klar benannt“ werden müssten, über die Notwendigkeit eines flächendeckenden Angebots an Schulhorten, über Breitbandverkabelung auch in ländlichen Gegenden, über die ärztliche Versorgung und die Notwendigkeit guter Autobahnverbindungen. Der Beifall kommt reichlich und kräftig – und die Zwischenrufer skandieren „Merkel muss weg“ oder „Hau ab! Hau ab!“. Als einer laut „zum Thema!“ brüllt, schaut die Kanzlerin lächelnd zu ihm rüber und antwortet: „Meiner Meinung nach bin ich doch beim Thema.“ Das kommt an, die Anhänger applaudieren. Überhaupt scheint es so, als gäben die Störer der Veranstaltung, die sonst ein seichtes, sommerlich-lauwarmes Gute-Laune-Treffen geworden wäre, die nötige Würze.

Breitbandausbau? Ländlicher Raum? Interessiert nur wenig

Solche Auftritte sind für die Politiker immer auch ein Test – was kommt besonders gut an, was lässt die Leute kalt? Breitbandausbau, ländlicher Raum, Steuerpolitik löst Zustimmung aus, aber eher verhalten. Sogar die Flüchtlingskrise, die 2015 die Leute stark bewegt hat und der Merkel eine längere Passage widmet, erregt hier niemanden mehr besonders. Sie spricht von Humanität, dankt den Helfern und betont, wie wichtig auch internationale Einsätze gegen Fluchtursachen sind, etwa mit der Bundeswehr in Mali. Freundlicher, gemäßigter Beifall ist die Reaktion.

Dann redet sie davon, wie wichtig mehr Respekt für Soldaten und Polizisten ist – und das hier, nahe des Bundeswehr-Fliegerhorstes Wunstorf. Nun kommt starker Beifall auf. Als die Kanzlerin nach einer Zwischenruf-Aktion meint, „Geschrei löst keine Probleme“, ertönt sogar Jubel. Auch der CDU-Ministerpräsidentenkandidat für die Landtagswahl am 15. Oktober, Bernd Althusmann, sammelt seine Erfahrungen mit der Stimmung des Publikums. Zur Begrüßung von Merkel hatte er gegen rot-grüne Pläne gewettert, das Vermummungsverbot auf Demonstrationen zu lockern. Da war das Klatschen brav, aber mäßig. Kurz darauf meint er, man dürfe das Abbrennen von Pyrotechnik in Fußballstadien nicht erlauben, ein Seitenhieb auf Innenminister Boris Pistorius, den Althusmann aber namentlich nicht nennt. Jetzt regen sich viel mehr Hände zum Applaus.

Die Landtagswahl ist noch weit weg

Die CDU-Strategen wissen, dass Bundestags- und Landtagswahlkampf nahtlos ineinander übergehen, dass man eigentlich gar nicht trennen kann. So versichert Althusmann Merkel die absolute Treue: „Hier in Niedersachsen wird der Grundstein für den Erfolg der Bundestagswahl gelegt.“ Merkel, die den CDU-Landesvorsitzenden immer noch mit „Sie“ anspricht, revanchiert sich kurz darauf: „Bei dem Chaos in der Bildungspolitik würde es Niedersachsen gut tun, wenn es einen Wechsel gibt. Wir werden gemeinsam dafür kämpfen.“

Doch besonders laut ist die Antwort der Anhänger darauf nicht, landespolitische Zuspitzungen klingen für sie wohl noch zu ungewohnt – und so bleiben solche Botschaften an diesem Tag auch weitgehend ausgespart. Der CDU-Bundestagskandidat Hendrik Hoppenstedt versucht es ganz zum Schluss noch mal, als er die Anhänger zum Wahlkampf für einen Wechsel im Land und zur Unterstützung von Althusmann als Ministerpräsidenten anstacheln will. Der Beifall, den er daraufhin zu hören bekommt, ist zwar ordentlich, aber nicht überschwänglich. Die Landtagswahl, soviel scheint klar, ist für die Menschen noch sehr, sehr weit weg. Jetzt geht es erst einmal um Merkel, und nur um sie. (kw)