Wenn der Roboterberater den Kühlschrank erklärt
So schlimm wird’s schon nicht kommen. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles macht den rund 60 Gästen im Haus der Gewerkschaft IG BCE in Hannover Mut. Durch die Digitalisierung würden nicht nur Arbeitsplätze wegfallen, sondern auch neue entstehen, die man noch gar nicht kenne, sagt sie bei der Fachkonferenz der SPD-Landtagsfraktion. „Arbeit 4.0 – Gute Arbeit in digitalen Zeiten“, so der Titel der Veranstaltung.
Nahles würde sich zum Beispiel über einen Roboterberater freuen, erklärt sie und lacht. Darunter stellt sie sich neue Spezialisten vor, die den Kunden zum Beispiel die neuen Haushaltsroboter erklären könnten. „Ich bin mit den neuen Haushaltstechnologien schon tendenziell überfordert“, sagt sie und nennt als Beispiel „sprechende Kühlschränke, die die Milch selbst bestellen“. Zu Beginn ihrer Rede widmet sich Nahles mehr den Chancen als den erahnten Problemen der Digitalisierung: „Ich möchte die Probleme nicht bagatellisieren, aber wir dürfen nicht in der Haltung des Kaninchens vor der Schlange verharren“, warnt die Ministerin.
Für die Arbeitnehmer erhofft sie sich im besten Fall mehr Souveränität über die Arbeitszeit. „Wenn man sich das Regime der Produktionsstraßen ansieht, dann muss man doch nicht so tun, als ob das die schönste Arbeit der Welt ist. Das ist nicht der Ausbund der Selbstbestimmung“, so Nahles. Durch die Digitalisierung könne man in Zukunft körperliche Belastungen vermeiden. Das sei gerade für Deutschland wichtig: „Digitalisierung trifft hier Demographie.“
Für Nahles steht aber zugleich fest, dass der Arbeitsschutz der Digitalisierung angepasst werden muss. Sie bezieht sich dabei auf eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz (Baua). Demnach brauchen ältere Menschen schneller eine Pause. Durch Änderungen bei den Pausenregelungen in den Unternehmen ließen sich Arbeitnehmer länger fit halten. Auch das Recht auf Nichterreichbarkeit bleibe ein Thema. Man brauche aber Strukturen, die es ermöglichten, dass Regelungen auch eingehalten werden.
Es gibt bei der Veranstaltung einen Moment, in dem diese inhaltlich ein wenig kippt – von 4.0 zum 19. Jahrhundert, von der Digitalisierung zu ein wenig Klassenkampf-Feeling. Ein Drittel der Arbeitnehmer wünsche sich Änderungen bei Arbeitszeit und Arbeitsumfang, trägt Nahles vor. Sie wünscht sich wiederum mehr Flexibilität auf Seiten der Arbeitgeber. „Warum gibt es jedes Mal Krieg, wenn wir von Arbeitszeit sprechen?“, fragt sie und macht eine klare Ansage, die den Gewerkschaftsmitgliedern im Konferenzraum gefallen dürfte: „Es wird keine weitere Arbeitszeitflexibilität geben, ohne dass die Arbeitnehmer etwas dafür bekommen.“ Nahles wiederholt dazu ihre Forderung nach einem „New Deal“ bei den Arbeitszeitregelungen. Die Arbeitnehmer dürften nicht stärker am Gängelband der Arbeitgeber sein.
Auch Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), warnt vor „wildem Westen“ bei der Arbeitszeit und greift den Arbeitgeberverband Gesamtmetall direkt an. Dieser habe ein Ende des 8-Stunden-Tages gefordert. „Wie kann man nur so blöd sein, mit den Gewerkschaften so eine Diskussion anzufangen?“, schimpft er und kann sich in dem Raum der Zustimmung sicher sein. In der Flexibilisierungsdebatte bei IG Metall und Arbeitgebern geht es allerdings auch darum, zum Beispiel Müttern mehr Möglichkeiten zu geben, die Wochenarbeitszeit besser zu verteilen. Das würde an dieser Stelle aber nicht so gut zur „Wir gegen die“-Rhetorik und dem Schulterschluss zwischen SPD und IG BCE passen. „Ich hoffe, dass Du Ministerin bleibst“, sagt der Michael auf der Bühne noch zu Andrea, die neben ihm steht und sich sichtlich darüber freut.
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Zurück zu 4.0 und einem Punkt, in dem sich die Experten auf dem Podium nicht ganz einig sind. Dabei geht es um das Tempo der Digitalisierung. „Möglicherweise wird alles noch viel schneller gehen und die Transformation nicht 40, sondern vielleicht nur 20 oder noch weniger Jahre in Anspruch nehmen“, mutmaßt Andrea Nahles. Ist das dann Evolution oder Revolution? Evolution, meint Martin Kuhlmann vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI). Es gebe in den Unternehmen sehr unterschiedliche Realitäten und eine große Skepsis gegenüber dem Hype 4.0. „Dadurch verändert sich die Arbeit nicht disruptiv und revolutionär. Es sind kleine Schritte, es ist ein evolutionärer Prozess“, so Kuhlmann. Das habe einen Vorteil: es bedeute, dass diese Schritte gestaltbar seien. Arno Brandt, Leiter des Cima-Instituts für Regionalwirtschaft, widerspricht. „Auch die erste industrielle Revolution ist in Jahrzehnten erfolgt. Man kann das nicht nur aus zwei bis drei Jahren heraus entscheiden.“ Als Beispiel nennt er die einschneidenden Veränderungen in der Logistik. „Vor 15 Jahren wurde noch mit dem Gabelstapler herumgefahren. Heute haben wir Hochregalsysteme auf digitaler Basis.“
Am Ende der Veranstaltung, die kurz vor dem Tag der Arbeit stattfindet, gehen die Teilnehmer in ein verlängertes Wochenende. Die einen machen frei, die anderen schwenken Fahnen. Trotz Digitalisierung. (MB.)