In zwei Grundsatzreden haben gestern Abend Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und CDU-Landeschef Bernd Althusmann einen bildungspolitischen Aufbruch für Niedersachsen angekündigt. Die beiden Politiker, die derzeit mit ihren Parteien über die Bildung einer Großen Koalition verhandeln, äußerten sich beim „Siebenten Tag der Niedersächsischen Wirtschaft“ auf Einladung der Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN). Althusmann sagte: „In einer denkbaren Großen Koalition wäre ein Schulfrieden greifbar nah – und er wäre ein Segen für das Land.“ Vergangene Streitfragen, das Schulsystem betreffend, sollten beiseite geschoben werden – und es müsse darum gehen, endlich die Anerkennung der verschiedenen Schulabschlüsse zwischen den Bundesländern verbindlich festzulegen. Die Berufsorientierung in allen Schulformen, was Grundrechenarten angeht und Kenntnisse in MINT-Fächern und vor allem in Informatik, müsse wesentlich verbessert werden. Ministerpräsident Weil sagte, die Schule solle sich „auf die Qualität der Allgemeinbildung konzentrieren“ und früher übliche Strukturdebatten „ad acta legen“. Es gehe darum, alle Schüler zu befähigen, ihre Talente voll zu entfalten – „denn wir werden künftig jeden Schüler brauchen“.

 

Die UVN hatten beide Politiker schon vor Monaten eingeladen – damals noch unter der Prämisse, dass die Landtagswahlen erst in gut 60 Tagen stattfinden würden. Nun kam es zum Auftritt von Weil und Althusmann inmitten der Koalitionsverhandlungen. UVN-Präsident Werner M. Bahlsen hatte zu Beginn eine kritische Bestandsaufnahme der Landespolitik nach knapp fünf Jahren Rot-Grün vorgetragen. Vor allem die Grünen hätten sich immer wieder als Bremser erwiesen. Bahlsen sagte, die Bildungsergebnisse in Deutschland seien nicht gut, sondern allenfalls durchschnittlich. Der Zustand von Straßen und Brücken sei schlecht, benötigt werde „mehr Planungskapazität im Straßenbau“. Kritik übte Bahlsen an der Forderung des Verdi-Landesleiters Detlef Ahting, die Gewerbeaufsicht zu Kontrollen von Heimarbeitsplätzen zu ermächtigen (der Rundblick berichtete gestern). „Genau so etwas wollen wir nicht, Vertrauen braucht keine Kontrolle.“ Der Breitbandausbau muss nach Ansicht des UVN-Präsidenten schneller vorankommen, die Verschuldung des Landes sei viel zu hoch. Hermann Kasten, Vorstandsvorsitzender der VGH Versicherung, forderte ebenfalls eine „Abkehr von der Schuldenpolitik“ und eine „ideologiefreie Schulpolitik“.

 

Der Schwerpunkt der Tagung, an der viele Unternehmer und Verbandsvertreter teilnahmen, waren die Reden der beiden Spitzenpolitiker, die gegenwärtig über eine Regierungsbildung beraten. Weil hielt eine pragmatische, auf wenige konkrete Punkte beschränkte Rede, während Althusmann, der Pastorensohn, zu einer wortgewaltigen Grundsatzrede ansetzte. In beiden Vorträgen waren allerdings mehrere Ankündigungen enthalten, die vermutlich auch Teil der Koalitionsvereinbarung werden können. So erklärte Weil, die Gleichstellung der Geschlechter im Berufsleben müsse weiterentwickelt werden, für Flüchtlinge werde es einen speziellen, vom Land geförderten Arbeitsmarkt geben müssen, wegen der Herausforderung der Digitalisierung müssten die Studienplätze für Informatik „nachhaltig gesteigert“ werden. Die Unternehmen sollten von den Energiekosten entlastet werden. Althusmann sagte, bei allen Bemühungen etwa um VW dürfe der Mittelstand nicht vernachlässigt werden, bei der Digitalisierung müsse der ständige Vergleich mit Ländern wie etwa Estland gesucht werden, beim Bau von Autobahnen und Straßen sollten wenn möglich verkürzte Planungsverfahren durchgesetzt werden. Er werbe zudem für ein Zuwanderungsgesetz, das es Deutschland erlaube, gezielt gesuchte Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben. „Ein solches Gesetz muss auf Niedersachsens Zustimmung im Bundesrat stoßen.“