Weil sieht besorgt auf die Industrie – und vermisst ein klares Handeln des Kanzlers
Ministerpräsident Stephan Weil macht sich nach eigenen Worten große Sorgen um die Zukunft der energieintensiven Unternehmen im Lande. Schon vor mehreren Monaten habe die rot-grüne Koalition in Niedersachsen den Vorschlag für einen „Transformationsstrompreis“ unterbreitet, also dafür, energieintensiven Unternehmen Vergünstigungen bei den Energiekosten zu gewähren. Allerdings hat sich die Ampel-Regierung in Berlin dazu noch nicht durchringen können.
„Ich bin sehr beunruhigt von dem negativen Ausblick, den viele Firmen derzeit gegeben haben“, sagte Weil vor Journalisten. Er ziehe diese Erkenntnisse aus einem gemeinsamen Treffen mit Wirtschaftsvertretern am Dienstagmorgen. Der Herbst 2023 sei der Zeitraum, in dem viele Unternehmen ihre Investitionsplanungen aufstellen und Projekte für die Zukunft anpeilen. Wenn die Erwartungen sich wegen zu hoher Kosten eintrübten, sei das ein Alarmzeichen für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland.
Irritiert reagiert der Ministerpräsident auf eine Aussage von Kanzler Olaf Scholz beim Arbeitgebertag in Nordrhein-Westfalen vergangene Woche. Der Regierungschef hatte – ähnlich wie es der Linie von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) entspricht – die Rufe nach einem „Industriestrompreis“ abgelehnt. Er hatte gesagt: „Ein schuldenfinanziertes Strohfeuer, das die Inflation wieder anheizt, oder eine Dauersubvention von Strompreisen mit der Gießkanne können wir uns nicht leisten und wird es deshalb auch nicht geben. Das wäre ökonomisch falsch, fiskalisch unsolide und würde sicherlich auch falsche Anreize setzen.“
Weil will Bundeskanzler Scholz vom Gegenteil überzeugen
Weil sagte dazu vor Journalisten, er setze darauf, den Kanzler noch vom Gegenteil zu überzeugen. In der SPD gebe es, beispielsweise in der Bundestagsfraktion, eine breite Mehrheit für die Idee eines Industriestrompreises. Die SPD sei immer eine Partei für die Industriearbeit gewesen, das zeige sich auch hier. Nach Weils Worten ist von den Befürwortern der Subvention nie geplant gewesen, bestimmte Branchen oder Unternehmen einer bestimmten Größenordnung mit dem Bonus bei den Strompreisen zu versehen. Es gehe lediglich um Firmen mit einem sehr hohen Energiebedarf. Auch von einer „Dauersubvention“ sei nie die Rede gewesen, es gehe um eine befristete Hilfe in einer Übergangszeit.
„Ohne die Existenz der Grundstoffindustrie in Deutschland können wichtige Wertschöpfungsketten nicht mehr funktionieren.“
Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen
Bundesfinanzminister Lindner nenne „ordnungspolitische Gründe“, doch das sei wenig glaubwürdig, wenn die Bundesregierung gleichzeitig die Ansiedlung der Chip-Industrie finanziell fördere. Die Hinweise von Wirtschaftswissenschaftlern, die Subvention für Strompreise halte den nötigen Strukturwandel der Wirtschaft auf, könne er auch nicht nachvollziehen, sagte Weil: „Ohne die Existenz der Grundstoffindustrie in Deutschland können wichtige Wertschöpfungsketten nicht mehr funktionieren.“ Im Übrigen müsse man erkennen, dass andere Länder, auch in der EU, längst mit Subventionen für ihre heimische Industrie begonnen hätten.
Der Ministerpräsident hofft nun auf eine Verständigung in der Bundesregierung spätestens im September, wenn die Planungen für den Bundesetat 2024 konkreter werden. „Wenn aber die Probleme so weiter bestehen und wir nicht eingreifen, droht eine Erosion der wirtschaftlichen Basis – und später dann eine Deindustrialisierung“, ergänzte Weil. Es gehe in Niedersachsen um die Chemie-, Stahl-, Glas-, Papier-, Keramik-, Zink-, Kupfer- und Zementindustrie. Die Schwächen der Bauwirtschaft kämen hinzu – und erfahrungsgemäß folge auf eine Krise dieser Branchen auch eine Krise des Handwerks.
Weil fügte hinzu, dass er in Niedersachsen eine geschlossene Position von Arbeitgebern, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden und Parteien für den Transformationsstrompreis sehe. Auch andere Bundesländer, beispielsweise Nordrhein-Westfalen und Bayern, würden die Position Niedersachsens voll unterstützen.
Dieser Artikel erschien am 25.08.2023 in der Ausgabe #143.
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