Ministerpräsident Stephan Weil hat sich dafür ausgesprochen, langfristig die Kompetenz für digitale Kommunikation bei staatlichen Stellen erheblich zu stärken. „Eines Tages wird es möglich sein, als Zugangsberechtigung für die Teilnahme an Wahlen einen Fingerabdruck zu nehmen oder die automatische Gesichtserkennung. Sicher werden wir irgendwann elektronische Wahlen bekommen. Aber die Vorstellung, dies würde nicht vom Staat organisiert, sondern von privaten Unternehmen, treibt mir die Schweißperlen auf die Stirn“, sagte der SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl gestern auf einer Wahlveranstaltung in Hannover.

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Die Sozialdemokraten hatten sich mit der Vision einer Gesellschaft beschäftigt, in der eine einflussreiche private Firma die totale Überwachung organisiert. Dazu hatte die SPD zur Vorführung des Filmes „The Circle“ in ein Kino eingeladen – der Film mit Emma Watson und Tom Hanks in den Hauptrollen schildert, wie ein Unternehmen, das an Facebook erinnert, mit der Forderung nach absoluter Transparenz und lückenloser Video-Überwachung die Politik beeinflusst und zu Hetzjagden anstachelt. „Mich hat das alles an George Orwells Buch ,1984‘ erinnert“, sagte Weil nach der Vorführung. „Der Unterschied ist nur, dass nicht der Staat, sondern eine mächtige Firma in der digitalen Welt diese Rolle einnimmt.“ Beim Staat gebe es die Möglichkeit, die Regeln und Kontrollebenen festzulegen.

In einer Podiumsdiskussion unter Leitung des Bundestagsabgeordneten Lars Klingbeil (Rotenburg) hat die SPD Medienvertreter und den Ministerpräsidenten zu Wort kommen lassen. Andreas Lenz, Geschäftsführer des „t3n“-Magazins, warnte vor einer zu ängstlichen und abwehrenden Haltung gegenüber der Digitalisierung. Das Internet sei „wie Wasser“, also unaufhaltsam. Versuche, Datenschutzregeln zu verhängen, seien auch zum Scheitern verurteilt – denn der Sitz eines Unternehmens könne in einem x-beliebigen Land oder sogar im Weltraum angesiedelt werden, sich also rechtlichen Zugriffsmöglichkeiten völlig entziehen. „Das Internet wird nicht mehr weggehen“, meinte auch Judith Horchert, Ressortleiterin bei „Spiegel-online“. Gleichwohl sei große Skepsis angebracht – und der Ruf nach Transparenz sei durchaus sinnvoll. Wenn, wie derzeit in Berlin, die automatische Gesichtserkennung auf S-Bahnhöfen erprobt werde, solle der Staat schon darüber Auskunft geben müssen, wie lange die Speicherfristen sind und welche Server eingesetzt werden. Bisher geschehe dies aber nicht.

Bei der Digitalisierung muss man die Risiken und Nebenwirkungen von Anfang an mitdenken – Stephan Weil

Ministerpräsident Weil sagte, auch er teile die Ansicht, dass die Digitalisierung unaufhaltsam sei. Umso wichtiger sei es aber, „die Risiken und Nebenwirkungen von Anfang an mitzudenken“ und Grenzen zu beachten. Sorge macht Weil eine Entwicklung, wie er sie beispielsweise in China gesehen habe – dort gebe es den sogenannten „Sozialkredit“: Menschen, die anderen helfen, bekämen dafür Punkte, Punktabzug müssten sie hinnehmen, wenn sie etwa falsch parkten. Solche Überwachungs- und Steuerungsmodelle lehne er strikt ab – und es komme heute darauf an, den Kindern schon im Kindergartenalter beizubringen, wie wichtig es sei, vorsichtig mit dem Schatz der eigenen Daten umzugehen. Auch bei der öffentlichen Fahndung über Facebook sei Zurückhaltung geboten, wie vor Jahren ein Fall in Emden gezeigt habe, als dort unter großer öffentlicher Beteiligung ein Verdächtiger festgenommen wurde, dessen Unschuld sich später herausstellte.

Skeptisch beurteilt der SPD-Politiker darüber hinaus die derzeit bei manchen so populären Rufe nach „totaler Transparenz“ der Politiker und ihres Handelns: „Ich brauche als Politiker vertrauliche Räume für Gespräche im kleinen Kreis – da bin ich ein konventionell bürgerlicher Typ.“ Andreas Lenz vom „t3n“-Magazin äußerte sich pessimistisch zu Weils Forderung, der Staat solle mit den privaten Unternehmen gleichziehen und eigene digitale Kompetenz verstärken. „Die Geschwindigkeit, in der sich diese Technik auf privater Seite fortentwickelt, ist viel zu hoch, als dass der Staat dort mithalten könnte.“ Deshalb denke er vielmehr „an Kooperationen der Firmen mit dem Staat“.