Was wollen wir arbeiten? Nicht mal mehr „irgendwas mit Medien“
Darum geht es: Alle reden darüber, wie die Digitalisierung die Arbeitswelt verändern wird. Aber niemand wundert sich darüber, in wie vielen Berufen inzwischen angeblich niemand mehr arbeiten möchte. Aber irgendwas müssen wir doch künftig noch arbeiten, oder? Das fragt sich Martin Brüning.
Die Schulleiter haben ironisch gelacht, war zu lesen. Es passierte vor einigen Tagen in Celle, als Kultusminister Grant Hendrik Tonne auf der Schulleitertagung ankündigte, das Beamtenrecht zu ändern, damit pensionierte Lehrer leichter freiwillig in Schulen unterrichten könnten. „Das wollen die sich doch nicht antun“, hörte die Kollegin der dpa aus einer Ecke. Inzwischen gehört also auch der Beruf des Lehrers zu den unattraktiven Berufen. Zuviel Arbeit, teilweise zu wenig Geld, nervige Helikoptereltern und Kinder, die sich nur noch für die Dauer eines kurzen Youtube-Videos konzentrieren können. Der Lehrer-Job reiht sich damit in eine lange Liste von Berufen ein, die inzwischen als wenig attraktiv gelten. Pflege? Mies bezahlt und schwierige Arbeitsbedingungen. Lokführer, Bus- oder Lastwagenfahrer? Will auch niemand mehr machen. Sogar der frühere Traumjob des Piloten gerät in Verruf. Berufe wie Metzger, Maler, Hausmeister, Verkäuferin oder Friseurin „törnen den Gegenüber bei einem Date ab“ war zu lesen. Arzt geht noch – aber bitte nicht in der Schichtdienst-Klinik oder auf dem Land. Und sogar das Berufsziel „irgendwas mit Medien“ gehört offensichtlich der Vergangenheit an. Das wird schon daraus deutlich, dass Verlage inzwischen mit großen Anzeigen in den eigenen Produkten um Nachwuchs werben müssen.
Wo bleibt das Positive, wurde Erich Kästner einem Gedicht zufolge damals gefragt. Das schrieb er allerdings im Jahr 1930 und die Zeiten waren hart, schon wenig später folgten die dunklen Jahre. Fast 90 Jahre nach Kästners Gedicht müssen wir nahezu vollbeschäftigt, satt und gut unterhalten eigentlich das Negative mit der Lupe suchen und finden es doch immer wieder. Alle oben beschriebenen Berufe haben grundlegende Vorteile. Der Lehrerberuf ist nicht einfach. Aber einen sicheren Arbeitsplatz und die Freude, junge Menschen auf ihrem Weg zu begleiten, gibt es auch heute noch. Die Pflege ist ein harter Beruf, aber auch immer wieder mit Momenten, die nahegehen und nicht mit Geld aufzuwiegen sind. Lastwagenfahrer übernehmen heute eine immense Verantwortung und kommen immer noch viel herum – nicht auf jedem Autobahnabschnitt ist Stau. Und auch der Journalismus bleibt ein hochspannender und abwechslungsreicher Beruf, selbst wenn das Geld bei den Verlagen heute nicht mehr fließt wie vor 20 Jahren.
Die einzige Freude, die dieses Land teilweise ausstrahlt, ist die Freude am Schlechtreden und am Untergang. Wenn aber eine Vielzahl von Berufen inzwischen so unattraktiv ist, stellt sich die Frage, was wir in Zukunft eigentlich noch arbeiten wollen? Irgendwas mit Marketing oder IT? Wird der Markt mit mittelmäßigen Juristen überflutet, weil Jura irgendwie und irgendwo immer geht? Dieses Land wird auf keinen Fall erfolgreich bleiben, wenn wir die Freude an einer so großen Zahl von Berufen verlieren. Ohne Probleme unter den Tisch kehren zu wollen, so sind die Bedingungen in vielen Jobs keineswegs so katastrophal, wie häufig dargestellt. Im Gegenteil: Viele Berufe, die gemeinhin mit der Vokabel „unattraktiv“ gebrandmarkt werden, sind immer noch interessant und können das Leben bereichern. Man müsste nur einmal wieder die Geschichten abseits der Lamentos hören. Nicht einmal das bedingungslose Grundeinkommen wird uns angesichts unserer Berufsphobie weiterhelfen. Denn um das zu finanzieren, müsste sich die Mehrzahl schon für einen der angeblich so unattraktiven Berufe entscheiden. Jede Wette, dass viele am Ende auch häufig ziemlich begeistert von ihrer Job-Entscheidung wären.