Von Niklas Kleinwächter

Woran merkt man, dass ein Schwein glücklich ist? Wenn man Jens van Bebber danach fragt, stutzt er erst, lacht und sagt dann: „Was ist denn Glück? Das ist ja eher eine menschliche Definition.“ Er spreche deshalb eher von: Zufriedenheit. Woran merkt man also, dass ein Schwein zufrieden ist? Darüber streiten die Wissenschaftler, sagt van Bebber. Es gebe eine rege Diskussion über objektive Maßstäbe. Er selbst hat aber eine Definition dafür gefunden, „die ist ganz simpel und einfach: es ist der Ringelschwanz.“ Wenn die Tiere noch ihren Ringelschwanz haben und ihn sich nicht gegenseitig abbeißen, dann scheint es sich um eine gute Haltungsform zu handeln. Der Ringelschwanz gelte also als Indikator dafür, dass die Ansprüche der Tiere einigermaßen erfüllt werden.


Lesen Sie auch:

Im Schweinestall der Zukunft sollen die Ferkel eine Spielecke bekommen

Wirtschaftsprüfer beklagen: Der Agrarbranche fehlt das positiv besetzte Zukunftsthema


Jens van Bebber hat gemeinsam mit seiner Frau Katja Bodenkamp vor einigen Jahren ein Stallkonzept entwickelt, das diesen Ansprüchen genügt. Die Idee dazu hatte das Landwirte-Paar aus dem Westen Niedersachsens schon vor vielen Jahren. Katja Bodenkamp hatte sich bereits in ihrer Promotion mit alternativen Haltungsformen für Schweine beschäftigt. Das war vor etwa 20 Jahren, doch damals war die Zeit offenbar noch nicht reif dafür. 2013 begannen die beiden erneut mit konkreten Planungen für einen Umbau ihrer Stallungen auf dem Hof Bodenkamp in Schüttorf in der Grafschaft Bentheim. Damals erkannten sie eine Markttendenz, die diesen Schritt nun erlaubte, erklärt van Bebber im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Es gab in der Gesellschaft eine zunehmende Unzufriedenheit mit der herkömmlichen Tierhaltung, worin sie eine Chance für die Umsetzung alternativer Haltungsformen sahen. Deshalb haben sie 2015 damit begonnen, die ersten Anlagen auf ihrem Hof zu einem Offenstall umzubauen. Nach und nach wollen sie alle Ställe in der Form umgestalten.

Schweine haben eine hohe Intelligenz, es gibt ein soziales Zusammenleben, einen Tagesrhythmus, der geprägt ist von Aktivitäts- und Ruhephasen.

Offenställe sind beispielsweise in der Pferdezucht nichts Ungewöhnliches. Tageslicht und Frischluft sind dort ganz normal. Doch in der Schweinehaltung sieht das Bild ganz anders aus: Vollspaltenböden, geschlossene Ställe mit Zwangsbelüftung und 0,75 Quadratmeter Platz pro Tier erzeugen eher das Bild technischer Produktion statt artgerechter Tierhaltung. Nicht so auf dem Hof Bodenkamp. Dort habe man die natürlichen Verhaltensweisen der Tiere in den Blick genommen, erklärt van Bebber. „Schweine haben eine hohe Intelligenz, es gibt ein soziales Zusammenleben, einen Tagesrhythmus, der geprägt ist von Aktivitäts- und Ruhephasen.“ Im neue Stallkonzept können sich die Tiere deshalb zwischen verschieden gestalteten Funktionsbereichen hin und her bewegen. Weil die Stallaußenwände fehlen, bekommen die Schweine mit, was um sie herum auf dem Hof passiert. Für die neugierigen Tiere sind diese Außenreize eine willkommene Abwechslung. Spielzeug, wie es in konventionellen Ställen als Beschäftigung zum Einsatz kommt, um die Tiere von ihrem tristen Dasein abzulenken, gibt es im Offenstall nicht. Es wird schlicht nicht gebraucht. Der äußere Bereich des Stalls entwickele sich durch das natürliche Verhalten der Tiere automatisch zum Kotbereich, denn die Tiere bevorzugen dafür die kühleren Orte, erläutert van Bebber. Dadurch ließen sich auch die Emissionen besser in Grenzen halten als im konventionellen Stall. Eine weitere Ablenkung bietet den Tieren die Nahrungsaufnahme. Statt stumpf das Futter aus Trögen zu fressen, rieselt mehrmals am Tag die Nahrung von oben auf den Boden nieder. Die Schweine verbringen dann mehrere Stunden damit, ihr Futter auf dem Stallboden zu suchen und zu fressen – was dem natürlichen Fressverhalten der Tiere entspricht. Zudem bekommen die Tiere insgesamt mehr Platz: Im Offenstall stehen jedem Tier nun 1,6 Quadratmeter zur Verfügung. Damit verringert sich die Zahl der gehaltenen Tiere von 1800 auf 1000.

Die Rücksichtnahme auf die natürlichen Bedürfnisse und Eigenarten der Schweine führt schließlich dazu, dass die Tiere entspannter und ausgeglichen scheinen. Dass ein Tier dem anderen in den Ringelschwanz beißt, komme deshalb so gut wie gar nicht mehr vor, berichtet van Bebber. In der konventionellen Tierhaltung werden den Jungtieren noch immer die Schwänze gekürzt, „kupieren“ heißt das im Fachjargon. Eigentlich sieht eine EU-Verordnung vor, dass dies nur noch in begründeten Ausnahmefällen geschehen darf. Doch den Tierhaltern werden immer neue Fristen eingeräumt, um sich auf die Vorgabe einzurichten. In Niedersachsen gibt es sogar eine Ringelschwanzprämie, die honoriert, wenn Landwirte Schweine mit intakten Schwänzen abliefern. Doch die meisten Schweinehalter wissen offenbar gar nicht, was sie anders machen sollten. Der Offenstall scheint eine Option zu sein, die wirken könnte. Deshalb erfährt dieses Konzept auch viel Aufmerksamkeit. Das Bundesagrarministerium führt den Hof Bodenkamp als gutes Beispiel auf seiner Internetseite und hat ihn im Bundeswettbewerb „Landwirtschaftliches Bauen 2017/2018“ als zukunftsweisenden Umbau ausgezeichnet. Sowohl Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), als auch Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) und Umweltminister Olaf Lies (SPD) haben sich die Anlage schon persönlich angesehen.

Es ist natürlich bequem, dass wir jederzeit alles im Supermarkt günstig kaufen können. Aber irgendwann müssen wir die Rechnung dafür zahlen.

Doch die Sache hat auch einen Haken. Jens van Bebber und Katja Bodenkamp wussten: „Über Tierwohl allein werden wir nicht mehr Geld für den Mehraufwand bekommen. Deshalb haben wir die notwendige Wertschöpfung über den Geschmack erzielt.“ Sie haben nicht nur das Stallkonzept geändert, sondern auch eine neue Vermarktung und ein eigenes Produkt aufgebaut. In ihrem Offenstall produzieren sie keine Massenware, sondern Schweinefleisch besonderer Güte. Dazu haben sie extra eine alte Schweinerasse eingekreuzt und vermarkten ihr „Duke of Berkshire“ innerhalb einer geschlossenen Wertschöpfungskette. Das Modell der direkten Beziehungen der Vermarktungspartner steht im starken Gegensatz zum normalen Massenmarkt.

Van Bebber ist der Ansicht, dass dieses neue Modell der Schweinehaltung zum Standard werden soll. Die Tierhaltung anzupassen, sei dabei aber noch das leichteste. Viel komplexer sei es hingegen, die Vermarktungsstrukturen und das Verbraucherverhalten zu ändern. Letztlich müsse ein gesamtes System aufgebrochen werden. „Es ist natürlich bequem, dass wir jederzeit alles im Supermarkt günstig kaufen können“, sagt van Bebber. „Aber irgendwann müssen wir die Rechnung dafür zahlen.“ Es sei jetzt jeder gefragt, sich selbst und das System zu hinterfragen. Er und seine Frau hätten das getan und seien damals zu dem Schluss gekommen, dass sie eine Tierhaltung für den Massenmarkt nicht mehr unterstützen können. Die Herausforderung sei es nun, ein neues System zu finden, dass die Gesellschaft nicht in eine Zeit zurückkatapultiere, in der es keine verpackten Lebensmittel gab und niemand Auto gefahren sei. Doch der Fleischkonsum, da ist sich van Bebber sicher, müsse in Zukunft deutlich bewusster geschehen. Es sei auch sinnvoll, weniger Fleisch zu verzehren.