Was die CDU mit Braunlage im Harz gemeinsam hat
Im zehnten Stock des noblen Hotels „Maritim“ in Braunlage fühlt man sich in die Siebziger versetzt. Die roten Samtvorhänge, die kronleuchterartigen, gelblich leuchtenden Lampen an der Decke, die braune Holzvertäfelung an den Wänden, der gemusterte Teppich, das ist ganz der Stil der damaligen Zeit. Ein Hotel wie ein Museum. Dirk Toepffer, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion, ist regelrecht begeistert: „Das erinnert mich an jene Jahre, als der Harz noch groß und stark war, als der Tourismus hier florierte“, sagt er. Heute wolle diese Gegend daran anknüpfen. „Das ist ein bisschen so wie bei uns“, fügt Toepffer hinzu, „auch wir wollen wieder zu der alten Größe zurück.“
Der Vorsitzende steht vor den Mitgliedern und Gästen der CDU-Landtagsfraktion in ihrer Klausurtagung, und aus den Fenstern kann man, hoch oben, einen Blick über die Wälder und Häuser in dem Ferienort genießen. Die Stimmung in der Runde ist aufgeräumt, man schaut auf ein halbes Jahr Regierungsbeteiligung in der Koalition mit der SPD zurück – und schwelgt in Erinnerungen an noch bessere Zeiten. Nicht die Siebziger und Achtziger haben die Christdemokraten hier vor Augen, obwohl sie auch damals regierten, aber daran erinnert sich in der Runde kaum noch einer.
Die „große Zeit“, von der Toepffer schwärmt, und die in den Gesprächen am Abend immer wieder aufflammt, sind die frühen Jahre dieses Jahrtausends. Nach 2003 hatte die CDU mit der FDP für zehn Jahre das Land gelenkt, es herrschten damals Zuversicht und Aufbruchstimmung, eine Phase der Reformpolitik wurde eingeleitet, man gestaltete und fühlte sich stark. Die damaligen Klausurtagungen der CDU-Landtagsfraktion waren auch wegen der ausschweifenden Abende legendär. Der Landtagsabgeordnete Jan Ahlers aus Nienburg, immer für die Unterhaltung zuständig, holte sein Akkordeon heraus und spielte, es wurde gesungen und getanzt.
Kehren die alten Zeiten zurück?
Ahlers ist im vergangenen Herbst aus dem Parlament ausgeschieden, doch die heutige Fraktionsführung verpflichtete ihn jetzt erneut als Stimmungskanone, denn keiner kann das besser als er. Erst wurde das Niedersachsen-Lied geschmettert, dann andere Gassenhauer. Zu vorgerückter Stunde, als viele schon ins Bett gegangen waren, stimmte Ahlers „Hoch auf dem gelben Wagen“ an. Der frühere Innenminister Uwe Schünemann, dessen „Mana-Mana“ schon legendär ist, wurde auf die Bühne gebeten, dann tanzten Agrarexperte Helmut Dammann-Tamke und Agrarministerin Barbara Otte-Kinast miteinander, dann Otte-Kinast mit Fraktionsgeschäftsführer Jens Nacke und dann auch die Minister Barbara Havliza (Justiz) und Reinhold Hilbers (Finanzen). Dazu ein Lied von Ahlers: „Wer soll das bezahlen? Wer hat so viel Geld?“ Ausgelassen, gutgelaunt und fröhlich – so wie früher. Kehren die alten Zeiten zurück? Wohl nur bedingt.
In den drei Tagen der CDU-Klausur wurden die bisherigen Arbeitsergebnisse und die künftigen Pläne der Ressorts besprochen, auch die Wünsche für den nächsten Haushaltsplan. Dabei wurde den Teilnehmern immer wieder bewusst, dass man das ja immer nur eingeschränkt tun kann, denn die CDU ist nur ein Regierungspartner, und nicht einmal der größere. Außerdem wachsen die Bäume nicht mehr in den Himmel, wie einer der wichtigsten CDU-Minister, Reinhold Hilbers für Finanzen, immer wieder hervorheben musste. Nicht nur die nötige Stärkung der Nord/LB ist eines der größeren, in ihrer Größenordnung noch unbekannten Risiken. Hilbers muss auch bei anderen Wunschlisten auf die Bremse treten, auch in CDU-geführten Ressorts. So bekommt er allmählich Routine in seiner Rolle als Nein-Sager. „Der ist schon schlimmer als damals Hartmut Möllring“, scherzte CDU-Landeschef Bernd Althusmann.
Mehrere Kraftzentren in der CDU
Und die anderen Minister von der CDU? Justizministerin Havliza und Wissenschaftsminister Björn Thümler machen solide Arbeit und sind in ihren Ministerien gefestigt, aber beide Politikbereiche stehen selten im Zentrum einer größeren Aufmerksamkeit, oft bekommen sie daher nicht die verdiente Aufmerksamkeit. Bei Agrarministerin Barbara Otte-Kinast ist es anders, doch ihre anfänglichen handwerklichen Fehler haben sich herumgesprochen und ihrem Ruf nicht genutzt. Eine wichtige Aufgabe für die umsichtig agierende CDU-Fraktionsführung war es daher, Otte-Kinast den Rücken zu stärken. Toepffer tat es zum Auftakt der Abendveranstaltung. Als er die anwesenden Minister begrüßte, erwähnte er sie zunächst nicht, es kam Gemurmel auf. „Du stehst hier nicht auf dem Zettel“, sagte er. Dann erhob sich Otte-Kinast und rief laut: „Hier stehe ich!“ Kräftiger Applaus der Runde war die Reaktion. Ob das der Ministerin hilft?
Dann ist da noch der Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann, als CDU-Landeschef der unangefochtene erste Mann der Christdemokraten. Er ist fleißig im Lande unterwegs. Doch zum bunten Fraktionsabend stieß er erst um 23.35 Uhr dazu, weil er vorher bei einem Unternehmertreffen auf der Hannover-Messe gefordert war, wie er berichtete. „Aber am liebsten bin ich unter Euch“, sagte er, fast entschuldigend, als er zu vorgerückter Stunde dann plötzlich neben dem musizierenden Ahlers stand. Am nächsten Tag, als die „Aussprache mit Althusmann“ auf dem Programm stand, hielt Althusmann vor der Fraktion eine donnernde, an Wahlkampf erinnernde Rede. Er vorn, die anderen als Zuhörer, die hinterher Fragen stellten.
CDU-Fraktionschef Toepffer hatte auch den baden-württembergischen CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhardt als Gast eingeladen, und dabei seien erstaunliche Parallelen deutlich geworden. In Stuttgart ist die CDU auch Juniorpartner einer Koalition, dort einer grün-schwarzen, der Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist auch schon in der zweiten Amtsperiode.
Wie Toepffer sagt, berichtete Reinhardt von einer Grünen-Fraktion, die sich ganz auf ihren Ministerpräsidenten ausrichtet, und einem etwas kleineren Regierungspartner CDU, der sich „als Treiber“ betätigt. Das Bild sei in Niedersachsen ähnlich. Deutlich wurde in Braunlage allerdings auch: Mag sein, dass sich die SPD voll und ganz auf Weil kapriziert, für die CDU gilt das mit Blick auf Althusmann aber nicht – hier wirken inzwischen mehrere Kraftzentren. (kw)