Warum wir Herrn Gauland unbedingt zuhören sollten
Darum geht es: Heute tritt bei einer AfD-Kundgebung in Hannover einer der beiden Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, Alexander Gauland, in Erscheinung. Der DGB hat zu einer Gegendemonstration aufgerufen. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Die heiße Phase der beiden Wahlkämpfe für den Bundestag und den Landtag rückt näher, und so wächst auch die Anspannung – wie immer in solchen Zeiten. Für den heutigen Freitag hat die AfD Niedersachsen den einen ihrer beiden Bundestags-Spitzenkandidaten, Alexander Gauland aus Brandenburg, nach Hannover eingeladen. Er soll vor dem Rathaus sprechen, und zwar ab 17 Uhr. Für 16 Uhr hat die Jugendorganisation der Linkspartei, Solid, zu einer Gegendemonstration in der Nähe aufgerufen – und der DGB in der Region Niedersachsen-Mitte unterstützt das. „Der DGB ruft dazu auf, alle friedlichen und gewaltfreien Proteste gegen Rassismus, Sexismus und arbeitnehmerfeindliche Politik zu unterstützen“, heißt es in einer E-Mail.
Die AfD vertritt in vielen Positionen abseitige Haltungen. Oft wird eine bedenkliche Nähe zur rechtsextremer Programmatik erreicht. Damit die Menschen erfahren, was unter AfD-Politik zu verstehen ist, muss man ihr Gelegenheit zur Selbstdarstellung geben.
Soweit, so gut. Die Demonstrationsfreiheit steht im Grundgesetz, und zur Auseinandersetzung gehört es, dass auf Veranstaltungen mit Gegenkundgebungen geantwortet werden kann und soll. Das macht die Lebendigkeit der politischen Debatten aus. Nur muss die Frage erlaubt sein, wie denn vermutlich das ganze heute in Hannover ablaufen wird. Es ist ja nicht das erste Mal, dass die AfD in Niedersachsens Landeshauptstadt zu Veranstaltungen mit Bundesprominenz einlädt, und bisher sind die Gegenaktionen oft nicht so abgelaufen, dass man den AfD-Kritikern vorbildliches Verhalten bescheinigen könnte.
Als sich die AfD im Herbst 2015 hier zum Bundesparteitag versammelte, erklärte Oberbürgermeister Stefan Schostok auf einer Gegendemonstration, an die AfD-Adresse gerichtet: „Wir wollen Sie hier nicht haben!“. Vor knapp einem Jahr, als die AfD-Vorsitzende Frauke Petry in Hannover sprach, störten einige Hundert Gegendemonstranten den Auftritt. Immer dann, wenn die Politikerin am Mikrophon mit einem neuen Satz beginnen wollte, schlugen die Gegendemonstranten auf Trommeln oder pusteten so laut in ihre Trillerpfeifen, dass man Petry nicht mehr verstehen konnte. Viele waren hinterher auch noch stolz auf diese mutige Tat im Kampf um die bedrohte Demokratie.
Ist der Aufruf zur Unterstützung der Gegendemonstration überhaupt angemessen?
Mal sehen, was heute geschieht. Falls die Gegendemonstration wieder darin bestehen sollte, die AfD übertönen und Alexander Gauland nicht zu Wort kommen lassen zu wollen, darf sich der DGB schon jetzt auf ein Nachspiel einstellen. Vom kommenden Montag an muss er dann mit der Anfrage des Politikjournals Rundblick rechnen, ob der Aufruf zur Unterstützung der Gegendemonstration überhaupt angemessen war. Niemand, der zu einer Kundgebung einlädt, kann für alle Teilnehmer haften – und er muss riskieren, dass radikale Minderheiten das Bild bestimmen und auch verändern. Das gilt sicher auch hier. Aber andererseits ist das Muster, nach dem Proteste gegen die AfD gestaltet werden, ja schon hinlänglich bekannt.
Es besteht für einige weniger darin, den Menschen zu sagen, wie unklug und abseitig die Thesen der Rechtspopulisten sind, sondern mehr darin, AfD-Vertreter gar nicht erst zum Vortrag ihrer Positionen kommen zu lassen. Das aber ist – um es deutlich zu sagen – intolerant, überheblich und demokratiefeindlich. Der DGB vertritt viele Millionen Arbeitnehmer in Deutschland, es sind Anhänger vieler Parteien darunter. Dass diese Organisation mit dem Geld ihrer Mitglieder für Arbeitnehmerinteressen eintritt und auch gegen rechtspopulistische Rattenfänger agieren kann, ist gut und richtig. Was aber nicht geht, ist eine Haltung, die unter dem Banner von Meinungsvielfalt und demokratischer Gesinnung versucht, Andersdenkenden das Wort abzuschneiden.
Das Recht, in einer Kundgebung zu reden, macht die Demokratie in Deutschland aus.
Die AfD vertritt in vielen Positionen abseitige Haltungen, viele ihrer Redner reiten auf populistischen Wellen, die Grenze zur Fremdenfeindlichkeit wird teilweise überschritten. Oft wird eine bedenkliche Nähe zur rechtsextremer Programmatik erreicht. Damit die Menschen vor der Bundestags- und Landtagswahl erfahren, was unter AfD-Politik zu verstehen ist, muss man ihr Gelegenheit zur Selbstdarstellung geben. Gegendemonstranten aber, die mit lautem Getöse andere am Ausreden hindern wollen, schaden am Ende nur sich selbst – weil sie sich in ihrer ganzen Borniertheit entlarven.
Hören wir Herrn Gauland also besser zu – denn vieles, was er von sich geben wird, dürfte höchst fragwürdig sein und ist bestimmt keine Einladung, ihn und seine Freunde zu wählen. Nur: Das Recht, in einer Kundgebung zu reden, steht auch ihm ohne Zweifel zu. Dieses Recht macht die Demokratie in Deutschland aus.