Darum geht es: Am Sonntag wird Frank-Walter Steinmeier zum neuen Bundespräsidenten gewählt werden – und die fünfjährige Amtszeit von Joachim Gauck geht zu Ende. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.

Ein Glücksfall für das Land: Joachim Gauck  –  Foto: Bundesregierung/Jesco Denzel

Manche halten ihn für eitel und selbstverliebt, andere meinen, er habe kein diplomatisches Gespür. Das stimmt vielleicht beides, und doch hat Joachim Gauck in den vergangenen fünf Jahren Deutschland so gut repräsentiert wie kaum ein Staatsoberhaupt vor ihm. Was die Redekunst angeht, kommt er ganz nah an Richard von Weizsäcker heran, was die Volkstümlichkeit angeht, kann er es mit Roman Herzog und Johannes Rau aufnehmen. Gauck war ein Glücksfall für das Land.

Sein Nachfolger Frank-Walter Steinmeier ist nach allem, was man weiß, ein überaus integrer Mann. Einer mit der Gabe zum Zuhören und Integrieren, ein würdiger Repräsentant der Bundesrepublik. Nur ein zweiter Gauck wird er nicht werden, dazu fehlen ihm das Redetalent und die Ausstrahlung. Steinmeier wird dennoch seine eigenen Akzente setzen. Vielleicht muss er stärker im Hintergrund arbeiten, Brücken bauen und neue Gesprächsebenen schaffen. In Zeiten wie diesen, in denen sich politische Gruppen am linken und rechten Rand ganz aus dem gesellschaftlichen Diskurs verabschieden, wird das immer wichtiger. Gauck, der Prediger, wollte stets mit einer großen Rede aufrütteln und zum Nachdenken anstacheln. So wie einst Luther: „Ich stehe hier und kann nicht anders.“ Es ist ihm hervorragend gelungen, auch wenn die Wirkung nicht immer die erhoffte war. Steinmeier muss es anders versuchen. Die strahlenden Auftritte von Gauck sind seine Sache nicht, er versteht sich stärker auf das Vermitteln und Austarieren abseits der großen Bühnen, in den vertraulichen Gesprächen.

Zu tun ist dort wahrlich genug: Die Politiker haben derzeit einen schlechten Ruf. Dass Populisten sie als „Volksverräter“ verunglimpfen und im Internet jede Menge Hass, Verachtung und Beleidigungen ausgeschüttet werden, ist ein Alarmzeichen. Immer öfter versuchen radikale Gruppen, einen Keil zwischen die Regierten und die Regierenden zu treiben – auf der Basis böswilliger Unterstellungen und Verleumdungen. Gauck hat das, trotz brillanter Reden, nicht aufhalten können. Ob Steinmeier das besser schaffen kann? Die Aufgabe ist riesig, und sie stellt sich zu allererst dem Staatsoberhaupt. Der neue Bundespräsident muss überparteilich respektiert werden. Er muss die Demokraten ebenso erreichen wie jene, die sich in ihrer Enttäuschung den linksextremen Kapitalismuskritikern nähern wollen – oder den rechten Nationalisten.

Gauck hatte eine hervorstechende Eigenschaft, die Steinmeier so nicht haben wird: Er stand für eine bestimmte Botschaft, für eine entscheidende geschichtliche Situation. Der frühere Rostocker Pfarrer, der in Konflikt mit der SED-Staatsmacht geriet, 1989 zu den wichtigsten Figuren der DDR-Bürgerbewegung wurde und dann mit der Aufarbeitung der SED-Vergangenheit befasst war, symbolisiert seit langem den Freiheitskampf der Regimekritiker in der DDR. Er verkörpert die friedliche Revolution von 1989 und ist ein Vertreter derjenigen, die vehement für die Freiheit und die parlamentarische Demokratie gestritten haben. Man mag der Ansicht sein, jemand mit dieser Biographie hätte schon 20 Jahre früher Staatsoberhaupt werden sollen. Vielleicht war Gauck zu spät an seinem Platz, doch sein Wirken ist für das Zusammenwachsen von Ost- und Westdeutschland enorm wichtig gewesen. Wie in Tschechien mit Vaclav Havel oder in Polen im Lech Walesa konnte auch bei uns einer der oberste Repräsentant des Landes werden, der vorher in der Revolution eine wichtige Rolle hatte. So etwas ist wertvoll für das Selbstbewusstsein einer Demokratie.

Als Gauck sein Amt vor fünf Jahren angetreten hat, stand das Profil seiner Persönlichkeit schon fest. Steinmeier wird in der neuen Position seinen Weg erst noch finden müssen. Das wird nicht einfach für ihn – aber es bietet auch die große Chance für Ungewohntes und Überraschendes. Viel hängt davon ab, was er aus dem neuen Amt machen will und kann.

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