Am gestrigen Donnerstag schien es tagsüber zeitweise so, als würden die vielen Krisensitzungen der hannoverschen SPD endlich Erfolg haben. Manche meinten bei Stefan Schostok nun doch eine Bereitschaft zum Rückzug zu erkennen. Würde er das schon in der Sitzung des Rates der Landeshauptstadt am frühen Nachmittag verkünden? Die Sitzung nahte, aber Schostok trat nicht zurück.

Er trug dann allerdings eine längere, teilweise umständlich formulierte und interpretationsbedürftige Erklärung vor. Seine Kernaussage lautet: Für kommenden Dienstag, den 30. April, hat er die Fraktionschefs im Rat der Stadt eingeladen zu einem Treffen, dann wolle er mit ihnen „die Situation erörtern“, bis dahin werde er sich auch „Gedanken über neue Wege machen und Konsequenzen aufzeigen“. „Auch über meine persönlichen Konsequenzen“, sagt Schostok, wolle er dann sprechen.

Heißt das nun doch Rücktritt, aber erst am Dienstag? Manche, auch in der SPD, wollen das so verstehen. Und weil Schostok in seiner Erklärung auch noch hinzufügte, dass er es „sehr ernst“ nehme, „wenn das politische Vertrauen fehlt“, lässt die gestrige Stellungnahme des Oberbürgermeisters fast keinen anderen Schluss mehr zu. Das Vertrauen der eigenen Partei, der SPD in Hannover, hat er nämlich längst auch schon verloren, das der meisten anderen Ratsfraktionen ohnehin. Für die Koalitionspartner FDP und Grünen gilt das eindeutig, für die größte Oppositionspartei CDU auch.

Tatsache ist, dass Schostok seinen Rückzug vom Amt des Oberbürgermeisters einleiten wird.

Damit dürfte die umständliche Erklärung Schostoks, die eben keine Erklärung des Rücktritts oder Amtsverzichts war, vor allem seinem Versuch geschuldet sein, in diesen anstrengenden Zeiten sich das Heft des Handelns nicht aus der Hand nehmen zu lassen. Es geht um das Wie, nicht mehr um das Ob seines Abtritts von der politischen Bühne. Der hannoversche SPD-Stadtchef Alptekin Kirci sagte gestern dem Rundblick: „Tatsache ist, dass Schostok seinen Rückzug vom Amt des Oberbürgermeisters einleiten wird.“

Tatsächlich sind solche Krisensituationen, wie die hannöversche SPD sie seit der Anklageerhebung wegen schwerer Untreue am Mittwoch erlebt, immer auch kleine Machtkämpfe. Dieser drückt sich hier so aus: Die lokalen SPD-Gremien setzten Schostok am Mittwochabend eine Frist bis Freitagmorgen, seinen Rückzug vom OB-Amt und SPD-Bezirksvorsitz zu erklären. Tut er das nicht, wollten Genossen auch öffentlich auf Distanz zu ihm gehen. Darauf reagiert Schostok nun, indem er eine eigene Frist setzt und die andere um fünf Tage verlängert. Indem die SPD-Ratsfraktionsvorsitzende Christine Kastning sich bei Schostok öffentlich für seine Erklärung bedankte, hat sie stillschweigend seine Fristverlängerung akzeptiert. In diesem Mini-Machtkampf bleibt Schostok also der Sieger.

Schostok will die Bedingungen selbst aushandeln

Das kann über die Umstände allerdings kaum hinwegtäuschen. Schostok, der monatelang den Eindruck vermittelt hatte, die Staatsanwaltschaft werde das Ermittlungsverfahren gegen ihn einstellen, sagte vorgestern noch nach der Anklageerhebung, er wolle „weiter im vollen Umfang die Amtsgeschäfte als OB wahrnehmen“. Das war sehr vielen in der SPD höchst unangenehm aufgefallen und hatte seine internen Gegner noch mehr angestachelt. Mit den gestrigen Einschränkungen, die Schostok in seiner Erklärung vor dem Rat hinzufügte, klingt seine Einlassung nun auf einmal ganz anders. Jetzt zeigt er seine Offenheit für einen Rückzug. Mehr indes ist es noch nicht, und man gewinnt den Eindruck, als wolle der hannoversche Oberbürgermeister bei seinem Sturz in die Tiefe noch die Bedingungen seines Aufpralls auf dem Boden mit den Genossen aushandeln.

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Immerhin, das ist dem Oberbürgermeister bewusst, hat er noch einen Trumpf in der Hand. Weil Stefan Schostok 2013 vom Volk als OB gewählt wurde, kann der Rat ihn nicht einfach absetzen. Die Kommunalverfassung sieht vor, dass Schostok einen Antrag auf Ruhestand „aus besonderen Gründen“ stellen kann. Dann müssen drei Viertel des Rates zustimmen – und der Weg für die Terminierung einer neuen OB-Wahl durch das Volk wäre frei. Vermutlich wäre die Wahl dann Ende August, nach den Sommerferien. Sollte sich Schostok aber nicht bereit erklären zum Amtsverzicht, dürfte bis zu einer Neuwahl des OB wohl ein Jahr vergehen, denn zunächst müsste eine Abwahl durch das Volk vorbereitet und durchgeführt werden. Schostok könnte also, wenn die Parteifreunde ihn nicht pfleglich und entgegenkommend behandeln, sich querstellen und die letzte Phase seiner Amtsführung zu einer Tortur für alle werden lassen. Mitarbeiter des Rathauses klagen heute schon, nach einem knappen Jahr Rathausaffäre, dass dieser Fall die politische Führung in der Landeshauptstadt lähme.

Parteien rüsten schon für die Neuwahl

Man kann das alles wohl so auf einen Punkt bringen: Bis Dienstag will Schostok sich über seine persönliche und berufliche Zukunft jenseits des OB-Amtes klar werden. Wenn die Bedingungen stimmen und mit der SPD geklärt sind, stellt er einen Antrag auf Ruhestand aus besonderen Gründen – und hofft, dass eine Dreiviertelmehrheit im Rat diesen Weg unterstützt.


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Derweil rüsten sich die Parteien schon für die Neuwahl des OB. Aus der SPD heißt es, man habe „schon jemanden“, es soll angeblich jemand aus der Stadtverwaltung sein. Immer wieder fällt der Name des 42-jährigen Kämmerers Axel von der Ohe, promovierter Politikwissenschaftler aus Wolfsburg, der acht Jahre in der Region Hannover tätig war und erst seit einem Jahr in der Stadtverwaltung arbeitet – dort aber sehr schnell den Ruf eines klugen und strategisch denkenden Fachmanns erworben hat. Die CDU, heißt es, suche noch, da die Landtagsabgeordnete Mareike Wulf sehr früh und klar signalisiert habe, ihre Zukunft eher in der Landespolitik zu sehen. Ob ein überparteilicher Kandidat von bürgerlichen Kräften vorgeschlagen wird, ist noch offen. Ein solches Modell hatte in verschiedenen Großstädten, etwa Dresden, bereits Erfolg. (kw)