Die Gebäude, in denen die niedersächsischen Landesministerien untergebracht sind, gehören nicht unbedingt zu den modernsten. Deshalb strotzen sie nur so vor Geschichte und Glanz vergangener Jahrzehnte – die einen etwas mehr, die anderen etwas weniger. Da gibt es den früheren Regierungssitz des Königreichs Hannover, in dem heute das Umweltministerium von Olaf Lies seine Arbeit verrichtet. Oder das prunkvolle Wangenheim-Palais, das als präsentables Haus von Wirtschaftsminister Bernd Althusmann dient.

Nicht weit davon entfernt steht das frühere Preussag-Verwaltungsgebäude, in dem nun Wissenschaftsminister Björn Thümler seine Administration untergebracht hat oder (etwa aus derselben Zeit, in ähnlichem Stil und ganz in der Nähe) das Agrarministerium von Barbara Otte-Kinast. Geht man durch diese historischen Gemäuer, drängt sich einem leicht das Gefühl auf, die Uhren gingen dort anders.

Acht Uhr Fünfundvierzig, seit Monaten. Auch im Ministerium für Wissenschaft und Kultur steht die Zeit still – Foto: nkw

Das ist nun tatsächlich so, nicht nur im übertragenen Sinn:  Seit mehreren Monaten, so ganz genau weiß das Datum niemand, bewegen sich die Zeiger der historischen Uhren in mehreren Ministerialbauten nicht mehr. Sie sind eingefroren um Viertel vor Neun – ob abends oder morgens, kann niemand sagen. Zunächst fiel dieser Umstand kaum auf, denn wegen Corona gab es weniger Besucher. Doch inzwischen häufen sich die Anfragen. Denn es geht bei den Uhren nicht etwa um jene Chronografen auf den Schreibtischen der Mitarbeiter, sondern um die großen, wuchtigen, sehr präsenten und prägenden Wanduhren: in den großen Eingangshallen, in den langen Fluren, in den Treppenhäusern oder in den Sitzungssälen.

Heimlicher Ausstieg aus dem Uhren-Verbund?

Fragt man Mitarbeiter der Behörden nach dem Grund für die fehlerhafte Uhrzeit, bekommt man meist ausweichende Antworten zu hören oder ein schelmisches Grinsen zu sehen. Manche scheinen eine Ahnung zu haben, andere machen sich so ihre Gedanken. Es kursiert auch eine handfeste Anschuldigung: Wie es heißt, sei die Ursache des Problems unter dem Dach des Agrarministeriums zu finden.

Hinter vorgehaltener Hand wird dazu diese kuriose Geschichte erzählt: Angeblich gebe es seit Jahrzehnten einen ominösen Uhren-Verbund, der alle (älteren) Ministerialbauten miteinander verbinde. Weiter heißt es, dass sich das Haus von Agrarministerin Otte-Kinast nun aber klammheimlich aus diesem Netzwerk verabschiedet haben soll. Da sich dort aber die zentrale Steuerung für die Uhren befinde, hingen alle anderen Häuser nun in der Luft.

Foto: nkw

Was ist dran an dieser Mutmaßung? Einer, der Bescheid weiß und bereit ist, zu reden, ist Harri Mensching, Leiter Innerer Dienst und IT-Koordination im Landwirtschaftsministerium. Wie so häufig bei Gerüchten ist auch an diesem etwas Wahres dran, sagt er. Allerdings sei das Landwirtschaftsministerium keinesfalls der Übeltäter, sondern vielmehr sogar selbst Opfer. Denn auch dort stünden seit Mai oder Juni gut ein Dutzend Uhren still. Die Ursache des Problems befinde sich unterm Dach des Hauses von Ministerin Otte-Kinast.

Wer die Erklärung hören möchte, den schickt Harri Mensching auf eine Reise ins Nachkriegs-Hannover. Ein Großteil der Stadt war damals zerstört. Wo sich heute die Ministerien am Leineufer aufreihen, befand sich dereinst die Leineinsel mit einer pittoresken Altstadt. Doch weil fast alle Häuser in Trümmern lagen, schüttete man den Schutt auf einen großen Haufen und errichtete darauf das heute bekannte Gebäude-Ensemble. Geplant war damals ein echtes Regierungsviertel und das Landwirtschaftsministerium bildete den Anfang jener Reihe von Gebäuden, die heute alle ziemlich ähnlich aussehen. Und weil sie die ersten waren, legte man direkt unter das Dach des Hauses die Telefon-Zentrale der Landesverwaltung. Wer die 120-0 wählte, landete früher stets dort und wurde dann ins gewünschte Ministerium weitergeleitet.

Taktgeber aus dem vorigen Jahrhundert

Inzwischen ist diese Zentrale aber aufgelöst und das Herzstück der kommunikativen Infrastruktur der Landesregierung ist übergegangen zu IT Niedersachsen. Anfang des Jahres hat man nun damit begonnen, die Technik im Oberstübchen des Landwirtschaftsministeriums allmählich abzubauen. Harri Mensching weiß zu berichten, dass dabei eine ganze Menge Draht demontiert werden muss. Der doppelte Boden der ehemaligen Telefonzentrale messe locker eine Tiefe von 30 Zentimetern. Dieser Zwischenraum sei voll gewesen mit Kabeln, kilometerlang. Als endlich alles abgebaut gewesen sei, sei man noch auf ein altes Gerät gestoßen, das nach Menschings Beschreibung aussah wie ein Transistorradio.

„Das stand ewig und drei Tage da“, erinnert sich der Ministeriumsmitarbeiter. Doch erst als die Gerätschaft dann im Laufe dieses Jahres ihren Geist aufgegeben habe, forschte man in anderen Ministerien nach. Kaum jemand wusste eine Antwort – bis zwei altgediente Mitarbeiter sich dann erinnerten: Bei diesem Gerät musste es sich um den Taktgeber für die Uhren im Ministeriumsverbund gehandelt haben. Aber nach den Abbauarbeiten hatte es ja den Geist aufgegeben.

Wir haben die betroffenen Zeitmesser aber zügig durch Funkuhren ersetzt und sind somit als Wirtschaftsministerium weiterhin voll auf der Höhe der Zeit.

Und nun? Reparieren ist keine Option, sagen die Fachleute. Für einen solchen Taktgeber aus dem vorigen Jahrhundert gibt es keine Ersatzteile mehr. Damit endet nun im 75. Jahr des Landes Niedersachsen der Verbund der Ministerialuhren. Nun müssen sich die Häuser neue Zeitmesser beschaffen. Das Wirtschaftsministerium präsentiert sich an dieser Stelle als ausgesprochen effizient und schnell. „Tatsächlich war auch unser Haus vom Ausfall der von zentraler Stelle aus synchronisierten Uhren betroffen“, erklärte dessen Sprecher Eike Frenzel auf Rundblick-Anfrage. „Wir haben die betroffenen Zeitmesser aber zügig durch Funkuhren ersetzt und sind somit als Wirtschaftsministerium weiterhin voll auf der Höhe der Zeit.“

Ähnlich wollte auch Umweltminister Olaf Lies vorgehen. So soll er angeregt haben, die alten Uhren einfach abzunehmen und neue Digitaluhren zu montieren. Doch so einfach klappte das nicht, denn zumindest die Uhr im vorzeigbaren Heinz-Sielmann-Saal ist fest ins Mauerwerk integriert. Sollen die stillstehenden Uhren weichen, müssten womöglich die Wände aufgebrochen werden. Da könnten die Denkmalpfleger des Bauministers Lies die Stirn runzeln.

Sowohl die Uhren auf unseren Laptops als auch auf Telefonen und Smartphones laufen überall – aus der Zeit gefallen sind wir also keineswegs.

Vor einem ähnlichen Problem steht auch das Wissenschaftsministerium. Der opulente Verwaltungsbau mit seinen klaren Linien und tiefen Schatten, dem Beton-Skelett und der gewundenen Treppe steht (zumindest teilweise) unter Denkmalschutz. In Bezug auf die Uhren erklärte Ministeriumssprecherin Heinke Traeger gegenüber dem Rundblick: „Da sie denkmalprägenden Charakter haben, ersetzen wir sie nicht durch eine ebenfalls digitale Lösung, sondern arbeiten daran, sie auch für die Zukunft wieder fit zu machen.“ Ihr war allerdings wichtig zu betonen: „Sowohl die Uhren auf unseren Laptops als auch auf Telefonen und Smartphones laufen überall – aus der Zeit gefallen sind wir also keineswegs.“

Das Innenministerium bestätigt, dass der Dienstbetrieb des Ministeriums zu keiner Zeit beeinträchtigt gewesen sei. Das Haus von Boris Pistorius war allerdings auch nur verhältnismäßig gering von der Uhrenproblematik betroffen. Ministeriumssprecherin Simone Schelk sagte: „Tatsächlich gab es eine nicht mehr ganz taufrische Uhr, aus den Gründerjahren des Ministeriums, die nach Jahrzehnten treuer Dienste bei exakt Acht Uhr Fünfundvierzig stehen geblieben war.“ Deren Zentraluhrwerk werde nun gegen ein batteriebetriebenes Werk getauscht. „Somit wird die historische Uhr erhalten – und das Innenministerium geht weiter mit der Zeit.“

Im Landwirtschaftsministerium steht derweil noch nicht fest, wie genau die neuen Uhren aussehen sollen. Dazu gebe es zu viele Modelle, und mit der Auswahl will man es nicht überstürzen. Fest stehe aber schon, dass sie ohne Akku oder Batterie laufen sollen, berichtete Mensching, und sie werden wohl ferngesteuert über die Atomuhr in Braunschweig. Nun verliert das Landwirtschaftsministerium also nicht nur seine taktgebende Funktion im Uhren-Verbund – in Zukunft wird das einstmalige Zentrum des hannoverschen Regierungsviertels also ausgerechnet aus Braunschweig ferngesteuert.

Von Niklas Kleinwächter