Darum geht es: SPD und Union streiten bundesweit über die Frage, wie ein neues Einwanderungsgesetz auszusehen hat. Es geht um den sogenannten „Spurwechsel“ – die Chance, nach einem erfolglosen Asylbegehren als benötigte Arbeitskraft in der Bundesrepublik legal bleiben zu dürfen. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.

Die grundsätzliche Ansage klingt ähnlich, gleich, von welcher Seite sie kommt. Abgelehnte Asylbewerber, die erfolglos versucht haben, als politisch Verfolgte in der Bundesrepublik anerkannt zu werden, müssen zurück in ihre Heimat. Darin sind sich die Politiker fast aller Parteien – vielleicht weniger bei Grünen und Linken – im Großen und Ganzen einig. Aber wie das immer so ist mit solchen prinzipiellen Ansagen. Sobald sie konkret werden, fängt es an, kompliziert zu werden. Die SPD macht sich in diesen Tagen stark für den „Spurwechsel“ und streitet dafür, auch abgelehnten Asylantragstellern eine dauerhafte Bleibe in der Bundesrepublik zu erlauben, sofern sie einen Arbeitsplatz haben und integriert sind. Die CDU zeigt sich nicht einig in der Reaktion auf diesen Vorstoß. Dabei spricht bei näherem Hinsehen sehr viel für die Position, die etwa von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) vorgetragen wird, gleichzeitig aber auch von seinem schleswig-holsteinischen Kollegen Daniel Günther (CDU).

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Aus mehreren Gründen ist dieser „Spurwechsel“ richtig und sinnvoll:

Die humanitäre Seite: Ein häufig vorgetragenes Argument der Befürworter rigoroser Abschiebung lautet, die Betroffenen hätten das Recht verletzt, gegenüber Behörden falsche Angaben gemacht und sich damit unredlich verhalten. Das ist oft nicht von der Hand zu weisen, wichtig wäre aber, die genauen Umstände und Gründe zu erfahren. Wenn jemand fälschlicherweise angegeben hat, aus Syrien zu kommen, weil er sich damit eine bessere Bleibeperspektive in Deutschland erhoffte, kann das aus purer Not und Angst vor Rückkehr geschehen sein. Vermutlich wusste er, dass sein Asylantrag keinen Erfolg haben würde und besserte die eigene Biographie mit falschen Angaben auf. Natürlich darf der Staat das nicht tolerieren. Wenn dies aber schon vor vielen Jahren geschah, etwa im Zuge der großen Flüchtlingswelle 2015, dann sollte entscheidend sein, was der Betroffene seither in Deutschland getan hat. Hat er versucht, sich zu integrieren und Teil der Gesellschaft zu werden – etwa auch durch Fleiß und Engagement an seinem Arbeitsplatz? In diesem Fall stünde die erfolgreiche Eingliederung in die Gesellschaft im Kontrast zu den Fehlern, die er bei der Asylantragstellung begangen hat. Hier sollte Gnade vor Recht ergehen – der Betroffene sollte in der Bundesrepublik bleiben können.

Die rechtliche Seite: So richtig es ist, dass die Bundesregierung alles versucht, Abkommen mit vielen Ländern zur Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern zu schließen, so falsch wäre eine rigorose Umsetzung solcher Pläne – ohne Rücksicht auf Einzelfälle. Es mag sein, dass es nach vielen Jahren auf der Grundlage völkerrechtlicher Abkommen gelingen kann, lange Zeit geduldete abgelehnte Asylbewerber zurückzuführen. Vor übertriebener „deutscher Gründlichkeit“ ist aber zu warnen. Wer das Recht nur um des Rechts Willen durchsetzt und jeden Betroffenen abschiebt, trifft dann auch den Handwerker aus Pakistan, der sich inzwischen als tüchtiger Geselle in einer Autowerkstatt erwiesen hat und dort eigentlich unverzichtbar ist. Hinterher wird es heißen, man habe hier einen Falschen abgeschoben, nämlich jemanden, der sich nach Kräften Mühe gab, Teil der deutschen Gesellschaft zu werden.

Die politische Seite: Im Streit um das Einwanderungsgesetz herrscht immer noch die Vorstellung vor, man ziele auf die gut situierten, möglichst akademisch gebildeten Fachleute aus fernen Ländern, die dann den Fachkräftemangel in Spitzenpositionen ausgleichen sollen. Das ist auch ein Ziel, aber nicht das einzige. Längst gibt es bei den einfachen Tätigkeiten einen riesigen Mangel, im Handwerk, in den Pflegeberufen und bei vielen Dienstleistungen. Da liegt es aus pragmatischen Gründen nahe, auf diejenigen zu blicken, die hier nur geduldet werden. Strengen sie sich an und versuchen, aus dieser Duldung eine dauerhafte Akzeptanz ihres Hierseins folgen zu lassen, dann sollte der Staat das auch belohnen und ihnen die Bleibeperspektive erlauben. Ein wichtiger Einwand lautet allerdings, dass Deutschland nicht das Signal aussenden dürfe, jeder illegal einreisende Ausländer könne auf Dauer hier bleiben. Deshalb ist die Stichtagsregelung, die der Landkreistag in diesem Zusammenhang vorgeschlagen hat, sinnvoll: Der „Spurwechsel“ solle nur für jene gelten, die sich bereits in der Bundesrepublik befinden – und dann auch nur, wenn diese als wirklich gut integriert gelten.

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