Darum geht es: Gerade wird in Niedersachsen wieder heftig über die Namensgeber von Straßen, Plätzen und Bundeswehreinrichtungen gerungen. In Rotenburg hat es der Kreistag abgelehnt, die nach dem Kampfpiloten Helmut Lent benannte Kaserne umzubenennen. In Hannover hat die SPD vorgeschlagen, dass die „Hindenburgstraße“ künftig „Helmut-Kohl-Straße“ heißen soll. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.

Die Frage wird umso schwieriger zu beantworten sein, je tiefer man die Lebensläufe erforscht: Sollen Straßen, Plätze und öffentliche Gebäude umbenannt werden, wenn man aus heutiger Sicht Zweifel hat, dass die als Namensgeber ausgesuchten historischen Persönlichkeiten wirklich als Vorbilder für unsere Gesellschaft taugen? Zwei Anlässe haben in Niedersachsen eine Diskussion darüber ausgelöst. Zunächst waren es rechtsextreme Vorfälle in der Bundeswehr – und darauf reagierte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit der Ankündigung, den Erlass zur Traditionspflege zu überarbeiten. Unter anderem geht es um die Lent-Kaserne in Rotenburg. Dann gab der Tod von Helmut Kohl vor wenigen Tagen der SPD in Hannover den Anlass für den Vorschlag, die nicht abgelegene, aber auch nicht unbedingt zentrale „Hindenburgstraße“ in „Helmut-Kohl-Straße“ umzubenennen. Selbst die CDU, deren Vorsitzender Kohl viele Jahre lang war, reagiert darauf sehr wortkarg.

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Wie sind diese Diskussionen einzuschätzen? Nüchtern betrachtet darf das taktische Argument nicht vernachlässigt werden. Von der Leyen war dem Vorwurf ausgesetzt, rechtsextreme Seilschaften in der Truppe zu spät erkannt zu haben. Sie wählte die Flucht nach vorn und verlagerte damit die Aufmerksamkeit auf die Namen von Kasernen. Vielleicht ist sie dabei auch zu weit gegangen. Streng genommen ist der Nachtjäger-Pilot Helmut Lent, der 1944 unter bisher nicht geklärten Umständen starb, sicher kein Vorbild für die Bundeswehr. Die Hinweise, dass er Kontakte zum Widerstand hatte, sind nicht belegt. Ein überzeugter Nazi war er allerdings wohl auch nicht – was vereint, ist das Gedenken an einen Soldaten, der jung gestorben ist. Soll man den Namen jetzt streichen? Der Rotenburger Kreistag lehnte das mehrheitlich ab. Ein Argument überzeugt dabei besonders: Wenn man die Kaserne jetzt umbenennen würde, hätte man Lent posthum für „belastet“ erklärt. Das aber wäre ungerecht gewesen. Insofern hat der Kreistag richtig entschieden.

In Hannover gibt es seit langem Überlegungen, der „Hindenburgstraße“ einen neuen Namen zu verpassen. Die SPD witterte beim Tod von Helmut Kohl die Chance zu einem Vorstoß in diese Richtung. Auch das ist taktisch klug überlegt, denn an der Hindenburgstraße liegt die CDU-Landesgeschäftsstelle – und wie will die CDU begründen können, dass sie den Namen Kohl in ihrer Adresse nicht haben will? Anders gewendet: Will sich die CDU zu Hindenburg bekennen, der ein Deutschnationaler war, also kein Vorläufer der Christdemokraten? Aus gutem Grund schweigt bisher die CDU-Spitze zum SPD-Vorschlag, lediglich einzelne Ratsmitglieder haben sich geäußert. Das Kalkül der SPD könnte so aussehen: Wenn die CDU auf die „Helmut-Kohl-Straße“ einschwenken sollte, hätte die SPD auch einen Hebel, eine Straße nach Helmut Schmidt zu benennen. Ein großes Einvernehmen mit der CDU bräuchte die SPD in dieser Frage schon, da der linke SPD-Flügel mit der Figur Schmidt, der immerhin auch Wehrmachtssoldat war, nach wie vor hadert.

Die Vorgänge zeigen schon, wie verzwickt solche Umbenennungsdebatten sind. Was aber kann eine Leitschnur für solche Entscheidungen sein? Vor wenigen Jahren wurde der Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz vor dem Landtag umbenannt, nachdem sich Anzeichnen verdichteten, dass Kopf als Handlanger bei der Verfolgung von Juden und Polen gewirkt haben könnte. Das war richtig, denn der jetzt nach Hannah Arendt benannte Platz ist der zentrale Ort in Hannover, die Adresse des Parlaments. Man darf aus dieser Umtaufe aber nicht ableiten, dass die Erinnerung an Kopf verbannt werden muss. Er ist und bleibt der Gründervater Niedersachsens, ein charismatischer Politiker mit Überzeugungs- und Einigungskraft in der Zeit nach 1945. Andere Plätze und Straßen in der Landeshauptstadt verdienen seinen Namen, bei Umbenennungen sollte man daran denken.

An Kopf wird deutlich, dass Vorbilder meistens schillernd sind und Phasen hatten, in denen sie eben nicht vorbildlich waren, in anderen dagegen schon. Sofern sie aber nicht Menschen verfolgt, die Opposition unterdrückt oder die Diktatur gefördert haben, sollte man ihrer durchaus gedenken. Die einen verdienen es stärker, die anderen weniger. Sicher gibt es noch zu viele Hindenburgstraßen in Deutschland. Denn es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass der greise Reichsmarschall Paul von Hindenburg im Ersten Weltkrieg unheilvoll wirkte und ein früheres Kriegsende verhinderte. Dass er außerdem Hitler zum Kanzler ernannte, kann man ihm weniger vorhalten – er glaubte damals vermutlich tatsächlich, dass er den NSDAP-Führer eingrenzen und kontrollieren könnte. Hindenburg war kein Demokrat, aber in der Weimarer Republik versammelten sich die Demokraten hinter ihm. Was für Hannover nun besonders gilt: Hindenburg lebte viele Jahre in dem Viertel, das heute von der „Hindenburgstraße“ umrahmt wird. Man sollte weiter an ihn erinnern, gerade hier, denn eine historisch wichtige Persönlichkeit war er unbestritten – auch wenn vielleicht kein Vorbild.

In Ostdeutschland gibt es noch in vielen Städten die „Karl-Liebknecht-Straße“. Auch der hat gekämpft für die Demokratie, obwohl er für das parlamentarische System, das wir heute kennen, wenig Sympathie hegte. In Leipzig und Berlin, wo er hauptsächlich gewirkt hat, sind Straßenbenennungen sinnvoll und richtig, an vielen anderen Orten nicht. So ist es eben auch mit Hindenburg in Hannover. Deshalb der Vorschlag: Man sollte andere Straßen in der Stadt finden, um sie nach Helmut Kohl und Helmut Schmidt zu benennen.

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