Warum der Islamismus-Untersuchungsausschuss nicht vorankommt
Wie geht es weiter mit dem Untersuchungsausschuss, der seit Mai versucht, das Agieren von Innenministerium, Polizei und Verfassungsschutz angesichts der islamistischen Gewalttäter aufzuhellen? Seit Monaten kommt das Gremium nicht richtig voran – zum einen, weil die Zeugen vom Innenministerium keine Aussagegenehmigung erhalten. Zum anderen auch, weil juristische Streitfragen das Klima zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb im Landtag zunehmend belasten. Das Parlament ist hier in einer vertrackten Situation, wie die Übersicht zeigt:
Der erste Rechtsstreit: Schon der Start des Ausschusses stand unter keinem guten Stern. Schwarz-Gelb wollte aufklären, welche Versäumnisse Rot-Grün im Kampf gegen Salafisten begangen hat – und der Blick fiel auf die Wende in der Sicherheitspolitik mit dem Start von Rot-Grün: weniger Überwachung des Verfassungsschutzes, mehr Dialog mit muslimischen Verbänden. Führte das zur Vernachlässigung im Vorgehen gegen radikale Islamisten – etwa durch den Verzicht auf Kontrollen vor Moscheen, durch Mängel in der Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz oder dadurch, dass Jugendliche, die von Hasspredigern radikalisiert werden, nicht mehr observiert wurden? CDU und FDP legten im Mai einen Antrag für den Landtag vor, doch der wurde prompt konfrontiert mit einem Gegenantrag der Parlamentsmehrheit von SPD und Grünen: Sie weiteten den Beginn der Untersuchungen aus. Nicht das Jahr 2013, der Start der rot-grünen Regierung, sondern das Jahr 2011, die Endphase von Innenminister Uwe Schünemann, sollte den Anfangspunkt der Nachforschungen des Ausschusses markieren. Offizielle Begründung von Rot-Grün ist, dass Anfang 2011 der syrische Bürgerkrieg begonnen habe (was fragwürdig ist) und damit das Salafisten-Problem in Deutschland eskaliert sei. CDU und FDP sahen darin einen Verfassungsverstoß, denn laut Artikel 27 der Landesverfassung darf eine Minderheit einen Untersuchungsausschuss verlangen – und dessen Arbeitsauftrag darf nur dann von der Landtagsmehrheit erweitert werden, wenn „der Kern gewahrt bleibt“ und „keine wesentliche Verzögerung zu erwarten ist“. Diese Vorschrift wird laut CDU und FDP verletzt, sie reichten Klage ein. Vor dem Staatsgerichtshof in Bückeburg fand dazu vergangenen Freitag eine Verhandlung statt. Die erste Argumentation von SPD und Grünen, der ganze Untersuchungsausschuss basiere auf einem formal fehlerhaften Antrag von CDU und FDP im Landtag, deshalb sei die Klage dagegen gar nicht zulässig, wurde von Staatsgerichtshofpräsident Herwig van Nieuwland in der Verhandlung abgeschmettert. Nun geht es noch um den Streit, ob die rot-grüne Erweiterung des Untersuchungszeitraums wirklich den Kern der Arbeit verändert und dem Ausschuss eine neue Zielrichtung gibt. Frauke Brosius-Gersdorf, Rechtsvertreterin von Rot-Grün, sieht das nicht so: „Es geht doch allgemein um den Umgang des Staates mit der Dauergefahr des Islamismus“. Der Staatsgerichtshof spricht sein Urteil in diesem Fall voraussichtlich am 10. Februar 2017.
Der zweite Rechtsstreit: Seit Wochen kommt der Ausschuss bei den Vernehmungen von Polizeiführern und Verfassungsschützern nicht voran. Der Grund ist, dass Mitarbeiter von Innenminister Boris Pistorius (SPD) den Zeugen detaillierte Aussagen untersagen – teilweise, weil die Ermittlungstaktik gegen Salafisten nicht öffentlich werden dürfe, teilweise auch, weil parallel Gerichtsverhandlungen geführt werden, etwa gegen die jugendliche Attentäterin Safia S. aus Hannover. Ein Gutachten der Landtagsjuristen bescheinigte dem Innenministerium, verfassungswidrig zu handeln, da eine ausführliche Begründung, die mit jeder Aussageverweigerung einhergehen müsse, vermieden worden sein. Inzwischen hat das Ministerium eine solche Begründung nachgeliefert, allerdings nur pauschal. Gleichzeitig soll es auch dabei bleiben, dass die Zeugen nur wenig sagen. Nun überlegen CDU und FDP, ob sie auch dagegen wieder vor den Staatsgerichtshof ziehen sollen, zumindest dann, wenn die Landtagsjuristen auch gegen die pauschale Begründung des Innenministeriums Bedenken haben sollten. Eine weitere Klage wäre nun für die beiden Strategen der Opposition, Jens Nacke (CDU) und Stefan Birkner (FDP), nicht ohne Risiko: Sie stünden dann zum einen als Streithansel da, zum anderen könnte eine weitere Klage die parlamentarische Aufklärung weiter verzögern, und die Zeit wird knapp – schon in gut einem Jahr ist Landtagswahl, bis dahin muss der Untersuchungsausschuss seine Arbeit beendet haben.
Das Dilemma von Rot-Grün: Auch für SPD und Grüne ist das Taktieren mit dem Ausschuss gefahrgeneigt. Bisher führt die Weigerung des Innenministeriums, den Zeugen umfassendes Auskunftsrecht zu geben, nicht zu einem großen Aufschrei. Für das Sicherheitsargument, dass die Polizei in ihrer Arbeit vom Untersuchungsausschuss nicht gestört werden soll, gibt es offenbar eine breite Zustimmung in Politik und Öffentlichkeit. Bisher waren als Zeugen vornehmlich auch Polizeiführer geladen. Was aber ist, wenn künftig nun die politische Spitze in den Zeugenstand muss – der Innenminister, sein Staatssekretär und noch einmal die Verfassungsschutzpräsidentin? Sobald die Fragen von CDU und FDP dann nicht mehr nur einzelne Ermittlungsvorgänge betreffen, sondern sich eher auf die Strategien des Ministeriums und der Polizei beziehen, könnten ein Schweigen der Zeugen auch als Beleg dafür gewertet werden, dass sie eigene Fehler nicht eingestehen wollen. Und wäre Rot-Grün im Landtag auch dann noch uneingeschränkt bereit, den Innenminister um jeden Preis zu verteidigen? Schon gibt es erste Stimmen in der Koalition, die andeuten, dass übertriebene Verschlossenheit der Zeugen der falsche Weg wäre.
Kein vorzeitiges Ende der Untersuchungen: In den zurückliegenden Monaten gab es immer wieder Versuche, manchmal auch hoffnungsvolle, zwischen den beiden Lagern zu einer Verständigung zu kommen. Man könnte ja den Ausschuss abkürzen, einige Themenbereiche ausklammern und vereinbaren, in wenigen Monaten mit allem fertig zu sein. Doch gegenwärtig sieht es nun nicht danach aus, denn die Opposition wittert offenbar doch die Chance, weitere Versäumnisse des Innenministeriums aufzudecken und dann auch öffentlich zu machen. Fast hat man den Eindruck, dass Nacke und Birkner darin auch einen Weg sehen, den allgemein als „starke Figur“ angesehenen Innenminister zu entzaubern. Die Geschichte dieses Ausschusses, der bisher nur holprig vorankommt, dürfte also weitergehen. (kw)