Die Kassen des Landes sind so voll wie nie zuvor. Aber ist die Landesregierung, vor allem der stark geforderte Finanzminister Reinhold Hilbers an der Spitze, nun besonders glücklich damit? In der Politik scheint die Grundregel zu herrschen: Je besser die Haushaltslage, desto lauter die Rufe nach weiteren Ausgaben – und desto größer auch die Unzufriedenheit. Zum Auftakt der parlamentarischen Beratung über den Etatentwurf der Regierung für 2019, gestern im Landtag, wurde das wieder einmal deutlich.

Pünktlich zu diesem Termin kursiert in kommunalen Kreisen ein brisantes Schreiben an den Ministerpräsidenten. Die Ausdrucksweise darin ist zwar maßvoll, aber die Absender sind mächtig – die Arbeitsgemeinschaft der Kommunalverbände hat sich verbündet mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Beide, die sonst selten einander grün sind, treten nun gemeinsam auf und verlangen mehr Anstrengungen des Landes für die Integration von Flüchtlingen. Dazu müssten Strukturen in den Kommunen verfestigt und ausgebaut werden – das heißt, das Land dürfe etwa bei der Sprachförderung die Mittel nicht absenken, wie es aus dem derzeitigen Etatentwurf hervorgeht. Die Kommunen sollten auch in der Lage sein, fordern die Autoren, kommunale Sprachförderkoordinatoren zu beschäftigen. Und Sonderhilfen von derzeit zehn Millionen Euro, die landesweit für Brennpunkte bereitstehen (Salzgitter, Delmenhorst und Wilhelmshaven, aber auch Hameln, Leer, Laatzen, Lüneburg, Nienburg, Rotenburg, Stadthagen und Verden), reichten nicht aus. Weil solle „verlässliche Signale“ aussenden, heißt es in dem Schreiben, das dem Politikjournal Rundblick vorliegt.

Dieser Brief passt nicht so richtig zum umfangreichen Bericht, den Hilbers im Landtag präsentierte – gespickt mit vielen Zahlen und Beispielen, die vor allem einen Schluss zulassen sollten: Die Einnahmen sind prächtig, die Ausgaben auch, Niedersachsen geht es also gut. Haushaltsdebatten sind die Stunde der Opposition, und so nahmen Grüne, FDP und AfD den Plan von Hilbers auseinander. Anja Piel (Grüne) meinte, der Etatentwurf sei „ein Sammelsurium an Maßnahmen“, SPD und CDU hätten je für sich überlegt und beides dann unkoordiniert zusammengeworfen. Es fehlten nötige Schwerpunkte bei der Integration von Flüchtlingen, bei der Ausstattung der Kindertagesstätten und beim Klimaschutz. Der Mut, sich mit Autokonzernen oder Telekommunikationsunternehmen anzulegen, fehle völlig. Statt neuer Radwege würden neue Autobahnen gebaut. Stefan Birkner (FDP) meinte, die Landesregierung gebe sich „mit dem Mittelmaß zufrieden“, obwohl Niedersachsen viel mehr erreichen könne. Er ging den Ministerpräsidenten direkt an, weil er weder bei internen Streitigkeiten der Koalition um die innere Sicherheit noch bei Konflikten um die Rolle des eifrigen Umweltministers Olaf Lies eingreife. „Hier regieren zwei Parteien, die sich jeweils nur um ihr eigenes Wohl kümmern“, sagte Birkner. „Was macht eigentlich der Ministerpräsident? Er kümmert sich nicht. Das ist entweder Arroganz, Ahnungslosigkeit oder Desinteresse.“ Während Weil gern zu bundespolitischen Problemen in Interviews Zwischenrufe abgebe, schweige er zur Situation in Niedersachsen – auch beispielsweise zur hannoverschen Rathausaffäre, die seine SPD in der Stadt stark belaste.

Christian Grascha (FDP) ergänzte, die Stellenvermehrung in der Landesverwaltung (400 mehr seit 2011) zwinge zur Verwaltungsreform, die für 2019 geplante Schuldentilgung von 100 Millionen Euro sei – verglichen mit anderen Ländern – minimal, und eine mögliche Zinserhöhung (ein Prozent mehr bedeutet ein Minus von 572 Millionen Euro im Landesetat) bedrohe den Etat. „Sie legen die nächste Generation in Ketten.“ Peer Lilienthal (AfD) ergänzte, selbst die wirtschaftsschwächeren Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt seien beim Abbau der Altschulden mutiger als Niedersachsen.

Die Verteidiger der Regierung, vor allem die beiden Fraktionschef Dirk Toepffer (CDU) und Johanne Modder (SPD), versuchten, die Glaubwürdigkeit der Opposition zu erschüttern. Modder meinte, FDP und Grüne wollten immer beides gleichzeitig – mehr Investitionen und stärkeren Schuldenabbau. Sie könnten sich nicht entscheiden. Toepffer attestierte der FDP Unentschlossenheit und den Grünen eine Mischung aus Technologie- und Fortschrittsfeindlichkeit. Sie wollten Niedersachsen umerziehen und renaturieren in ein Land, in dem „die grüne Lampe nur brennt, wenn sowieso die Sonne scheint“.

Die Anmerkung von Piel, der Finanzminister könne mit seiner Selbstdarstellung „in einem Hollywood-Film mitwirken“, beflügelte die Phantasie der anderen Redner. Er könne „den Großen Gatsby“ spielen, meinte Toepffer. Der sei aber am Ende erschossen worden und zu seiner Beerdigung sei niemand gekommen, wandte Birkner ein. Hilbers als der „Große Gatsby“? Die Figur im Film ist kenntnisreich und gewitzt, aber nicht durchweg sympathisch. (kw)