Darum geht es: Die Verhärtungen zwischen Befürwortern und Kritikern einer Lern- und Erinnerungsstätte am Bückeberg bei Hameln werden aufgelöst – beide Seiten haben zu einem Kompromiss gefunden. Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, weil die Gegner sich ihr Nein abkaufen lassen haben? Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.

Die im vergangenen Jahr emotional zugespitzte Debatte über die Frage, ob auf dem Bückeberg bei Hameln ein „Lern- und Erinnerungsort“ gebaut werden soll, kann zu einem Lehrbeispiel für die Grundfragen der Demokratie werden. Das gilt zum Beispiel für die Unterscheidung zwischen der Gesinnungs- und der Verantwortungsethik. Der Gesinnungsethiker beharrt auf seiner Position, er begründet sie mit seinem Gewissen. Der Verantwortungsethiker achtet bei seinen Entscheidungen auf die späteren Folgen und ist daher eher bereit, seine Grundposition zu verändern, wenn er so besser zum Ziel kommt.

Übertragen auf die Bückeberg-Debatte heißt das: Die Befürworter einer Erinnerungsstätte verweisen auf die historische Verpflichtung, die Ereignisse der Vergangenheit für die kommenden Generationen wach zu halten – und zwar genau dort, wo diese Ereignisse stattfanden. Eine solche Haltung kennt kaum Kompromisse. Die Argumente der Gegenseite sind vielfältig. Da sind die einen, die strikt gegen jede Gedenkstätte sind, weil sie einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen wollen. Die anderen wenden sich dagegen, dass das Konzept für die Erinnerungsstätte ihnen von Landkreis und Land „aufgedrückt“ werde – zumal der Ort Emmerthal jahrzehntelang eine beschauliche Zurückgezogenheit erlebte und diese immer wieder verteidigte. Auch diese Haltung ist für viele Beteiligte gesinnungsethisch begründet. Daraus rührt die Heftigkeit der Diskussionen.

Jetzt scheint ein Kompromiss zum Greifen nah, und das wirklich gelungene daran ist die Ausgewogenheit zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Die Frage, ob man überhaupt eine Erinnerungsstätte hier braucht, wird eindeutig bejaht. Das ist auch dringend notwendig. Derzeit kann man es schlicht als Skandal bezeichnen, dass an diesem zentralen Ort der NS-Propaganda bis heute nicht einmal ein Hinweisschild auf das Gewesene hindeutet, dass man vor Jahrzehnten sogar einen Wald anpflanzte, um die Überreste der Tribünen zu überdecken. Diejenigen im Emmerthal, die eine solche Erinnerungsstätte aus Prinzip ablehnen, können nicht in einen Kompromiss eingebunden werden. Sie müssen hier den Kürzeren ziehen. Es ist falsch, jegliche Erinnerung auszulöschen.


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Auf der anderen Seite aber kommt man denjenigen Kritikern entgegen, die sich von dem Projekt überfordert sahen, die um ihre lokale Harmonie und Ruhe bangten. Die Verkehrsführung wird so verändert, dass Busse mit Besuchergruppen weitgehend von der angrenzenden Siedlung abgegrenzt bleiben. Das Landtechnik-Museum im Nachbarort Börry, das eine Erinnerungsstätte am Bückeberg als Konkurrenz auffasste und dessen Vorsitzender einer der profiliertesten Kritiker war, kann nun auf eine Unterstützung der Politik hoffen. Außerdem dürfte es die Bürgerbefragung, die von den Kritikern in Emmerthal besonders vehement gefordert wird, am Ende auch noch geben. Wer das ablehnt, kann das Argument vortragen, die Politik habe den Gegnern ihr Nein zur Erinnerungsstätte „abgekauft“. So klang es schon aus den Reihen der AfD, als bekannt geworden war, dass der Bund einen Zuschuss zur Verwirklichung des Projektes geben wird. Aber was heißt hier überhaupt „abgekauft“?

Es zählt zum Wesen des politischen Systems, dass Entscheidungen in einem Interessenausgleich fallen. Wichtig ist dabei, dass die wesentlichen Akteure eingebunden werden und nicht ausgegrenzt bleiben. Das ist hier geschehen, die Befürworter des Vorhabens haben sich trotz eindeutiger Kreistagsbeschlüsse noch einmal auf die Gegner in Emmerthal zubewegt und sie haben Wege gefunden, die Bedenken zu zerstreuen. Dass dabei auch Geld für bestimmte Vorhaben mitspielt, ist klar – aber so funktioniert nun mal der Interessenausgleich in einem demokratischen System, und das schon seit Jahrzehnten. Wer solche Prozesse im Sinne einer reinen Gesinnungsethik als „schmutzigen Deal“ abtun will, zeichnet ein idealistisches Bild von Politik, wie es unserem System fremd ist und wirklichkeitsfern ist. Nur in einer Diktatur können Projekte oben befohlen und bis unten lupenrein, ohne jede Verfremdung, durchgesetzt werden. Widerspruch dagegen endet dort dann aber meistens mit Verfolgung und Verbannung. In der NS-Zeit war es auch so.

Mal sehen, wie die Gegner jeglicher Erinnerungsstätte am Ende auf diesen Kompromiss reagieren werden. Ob sie auf die korrupte und bestechliche Politik schimpfen werden? Sollten sie es tun, offenbaren sie damit ihre eigentliche Absicht – gegen die Grundlagen unseres Systems anzugehen.

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