Darum geht es: Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius hat seine Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger abgelöst – und damit Konsequenzen nach der schweren Panne bei der Enttarnung eines V-Mannes gezogen. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.

Nicht nur für Innenminister Boris Pistorius ist der Wechsel an der Spitze des niedersächsischen Verfassungsschutzes eine Chance. Dies kann als Startsignal für einen Neubeginn genutzt werden. Es wäre zwar verkehrt, die bisherige Präsidentin Maren Brandenburger als Fehlbesetzung zu bezeichnen oder gar als „Sicherheitsrisiko“, wie es die heute mitregierende CDU noch in der vergangenen Wahlperiode getan hat. Ihr persönlicher Anteil an den schweren Versäumnissen, die zur Enttarnung eines V-Mannes führten, ist bis heute nicht genau zu messen.

Innenminister Boris Pistorius (rechts) auf der Pressekonferenz – Foto: KW

Darum geht es aber am Ende auch gar nicht. Brandenburger trägt die Verantwortung für eine schwerwiegende Panne in ihrem Hause, die begründet ist in nicht klar definierten oder zumindest nicht ausreichend kommunizierten Regeln. Hätte man die Teams zu mehr Sorgfalt angehalten, so wäre die Weitergabe einer brisanten Information vermieden worden. Mit dem Namen des Nachfolgers wird der Auftrag einer umfassenden Reorganisation der Behörde verknüpft sein.

https://soundcloud.com/user-385595761/aus-fur-verfassungsschutzchefin-innenminister-boris-pistorius-im-wortlaut

Aber der Fall Brandenburger strahlt über den Verfassungsschutz hinaus. Der Innenminister wirkte in den vergangenen Wochen zunehmend gereizt, manchmal auch getrieben. Das eher angestrengte als entspannte Verhältnis zum Koalitionspartner CDU, der in der Innenpolitik selbst Akzente setzen und damit punkten will, ging Pistorius erkennbar gegen den Strich. War er es doch gewohnt, unter Rot-Grün völlig freie Hand zu haben. In jüngster Zeit wurde der ganze Frust des Ministers stets deutlich, wenn er sich im Plenum mit der AfD auf seine bekannt polternde und rustikale Art auseinandersetzte.


Lesen Sie auch: 

Pistorius löst Verfassungsschutzpräsidentin ab


Nun trennt sich der Sozialdemokrat von seiner obersten Verfassungsschützerin, damit beweist er Konsequenz und Tatkraft. Womöglich markiert der Vorgang auch einen Wendepunkt hin zu einer neuen Aufwärtsbewegung für Pistorius. Die Details der jetzt gefundenen Regelung stehen dem nicht im Wege. Dass Brandenburger nicht ins Bodenlose fällt, sondern über eine Referatsleiterposition aufgefangen und finanziell abgesichert wird, gehört zu den üblichen Schritten in solchen Fällen. Das ist nicht verwerflich, sondern ein Ausdruck von verständlicher und völlig berechtigter Fürsorge.

https://soundcloud.com/user-385595761/was-muss-ein-neuer-verfassungsschutzchef-konnen-herr-schunemann

Auch für die niedersächsische SPD kann die aktuelle Entwicklung ein Segen sein. Zufällig geschieht Brandenburgers Ablösung just zu der Zeit, da neue Umfragen ein Jahr nach der Bildung der Großen Koalition in Niedersachsen bekannt werden. Die erste von zweien, entwickelt von „Insa“ im Auftrag von „Bild“, kommt zu ernüchternden Resultaten für Sozial- und Christdemokraten. Beide würden unter die 30-Prozent-Marke rutschen, die CDU läge bei 27 Prozent, die SPD bei 26. Die Grünen würden auf 17 Prozent klettern. Für beide großen Parteien sind die Verluste angesichts der bundesweiten Umfragetiefs nicht wirklich überraschend. In der SPD zeigt sich aber auch, dass Stephan Weil im Kreis der führenden Sozialdemokraten noch eine herausragende Gestalt sein mag; Berge versetzen kann er aber trotzdem nicht.

Die Niedersachsen-SPD hat sich bisher vor allem auf Weils Popularität verlassen, die von Johanne Modder geführte Landtagsfraktion verstand ihre Aufgabe vor allem im Herstellen von Geschlossenheit für den Ministerpräsidenten. Ein Dämpfer, der sich zumindest in dieser ersten Umfrage ausdrückt, könnte für die SPD-Strategie heilend sein. Vielleicht wird sich jetzt, nach dem Befreiungsschlag von Pistorius in der V-Mann-Affäre, die zu starke Fixierung der Sozialdemokraten auf ihre Nummer eins auflösen zugunsten einer Verteilung auf mehrere Kraftzentren – wie wir es in der CDU heute schon erleben. Schlecht wäre das für den politischen Meinungswettstreit im Lande sicher nicht.

Jede personelle Veränderungen an wichtigen Positionen ist auch ein symbolischer Schritt der Erneuerung. Pünktlich ein Jahr nach Amtsantritt der Landesregierung geschieht das nun in einem zentralen Feld, der inneren Sicherheit. Man wird sehen, ob die Große Koalition in der Lage ist, diese Chance auch sinnvoll zu nutzen.