Warum das SPD-Debakel in Hannover auch mit dem Stil von Stephan Weil zu tun hat
Am späten Sonntagabend um 21.30 Uhr verschickte der Landesvorstand der niedersächsischen SPD eine Pressemitteilung, die es in sich hatte. Der Landesvorsitzende, Ministerpräsident Stephan Weil, meldete sich nach einem für die Sozialdemokraten äußerst miserablen Wochenende mit einer Stellungnahme zu Wort. Zunächst dankte Weil dem unterlegenen Kandidaten in der Oberbürgermeisterwahl, Marc Hansmann – und dann holte er aus: „Die hannoversche SPD darf nach diesem Abend nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir dürfen nicht nur auf widrige Verhältnisse im Bund verweisen. Die hannoversche SPD muss sich kritisch fragen, was wir in Zukunft besser machen können.“
Das war eine deutliche Mahnung, die man nach dem desaströsen Abschneiden des SPD-Bewerbers in der OB-Wahl (Platz drei mit nur 23,5 Prozent) sicher erwarten konnte. Was absolut unerwartet und schon aufsehenerregend ist, ist die Form von Weil: Er lässt seinen Zorn auf die Genossen in der Landeshauptstadt nicht in Hintergrundgesprächen oder Vorstandssitzungen verlauten, sondern ganz öffentlich per Pressemitteilung. Für jedermann nachlesbar.
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Dieses Vorgehen dürften manche Parteifreunde in Hannover als Affront auffassen. Es ist, nüchtern betrachtet, vor allem ein Indiz für die starke Entfremdung zwischen Weil, dem ehemaligen Oberbürgermeister und aktuellen Wahlkreisabgeordneten in Hannover-Buchholz, und dem Stadtverband seiner Partei in der Landeshauptstadt. Das Debakel bei der OB-Wahl ist nur der Gipfelpunkt einer Entwicklung, die spätestens 2013 sichtbar wurde.
Damals wurde Stefan Schostok neuer OB anstelle von Weil, der just in diesem Jahr zum Ministerpräsidenten aufgestiegen war. Ein offenes Geheimnis war gewesen, dass Weil lieber einen anderen gehabt hätte – vielleicht den Bundestagsabgeordneten Matthias Miersch aus Laatzen, inzwischen SPD-Bezirkschef, vielleicht auch Marc Hansmann, den damaligen Kämmerer, den die Partei jetzt aufgeboten hatte. Gegen Schostok gab es schon seinerzeit große Bedenken, die wichtigsten beiden lauteten: Der Sozialpädagoge galt erstens in seinem bisherigen Amt (Chef der SPD-Landtagsfraktion) als entscheidungsschwach, außerdem fehlte ihm zweitens jegliche Verwaltungserfahrung.
Aber Schostok war bürgernah, den Menschen zugewandt. Er siegte in der OB-Wahl gegen Matthias Waldraff überragend. Dass seine Schwächen später seinen Sturz beförderten, weil er sich auf einen wichtigen Berater stützen musste und dieser Berater irgendwann unerfüllbare Gehaltsansprüche stellte, wurde erst 2018 für jedermann sichtbar. Der Berater war Frank Herbert. Dann folgte von Mitte 2018 an etwas, das den Niedergang der SPD in der Landeshauptstadt befördert haben musste: Schostok ignorierte auch nach Beginn der Justizermittlungen das Problem der unrechtmäßigen Bezahlung – und die Parteiführung und die Fraktionsführung im Rat erwiesen sich als zu schwach, ihn zur Klärung und dann auch zum Rücktritt zu bewegen. Das passierte erst zehn Monate später, als die Staatsanwaltschaft Anklage wegen schwerer Untreue erhob. Zu dem Zeitpunkt, vergangenen April, hatte die Rathausaffäre längst die Verwaltungsarbeit überschattet und einen Eindruck von Lähmung verbreitet.
Kontakt zwischen den verschiedenen Ebenen der Partei scheint abgebrochen
Drei Ebenen über der hannoverschen SPD gibt es, die zwischen Juni 2018 und April 2019 die Reißleine hätten ziehen und das Abgleiten der Stadtpartei in die Katastrophe aufhalten können. Der Unterbezirksvorstand, der Bezirksvorstand und der Landesvorstand. Der Bezirksvorstand fiel aus, immerhin wurde er von Schostok selbst geführt. Der Unterbezirksvorstand soll massiv auf Schostok eingewirkt haben, aber ohne Erfolg. Der Landesvorsitzende Weil, selbst Abgeordneter der Stadt-SPD, soll es auch versucht haben, aber ebenso fruchtlos. Wie konnte das geschehen? Wieso konnten sich die führenden Vertreter der Stadt-SPD derart abkoppeln von den Ratschlägen der übergeordneten Ebenen?
Vielleicht deshalb, weil die Tipps von oben nicht vehement genug vorgetragen wurden. Sicher wäre die Wirkung eine andere gewesen, wenn Weil schon im Sommer oder Herbst 2018, spätestens aber im Frühjahr 2019 öffentlich von Schostok abgerückt wäre. Doch das wagte er nicht, getreu seinem bisherigen politischen Motto, derartige Konflikte stets intern auszutragen und seine realen Stimmungen und Positionen dann nie öffentlich zu äußern, wenn damit die Geschlossenheit der SPD gefährdet werden könnte. Erst jetzt, mit der Pressemitteilung vom Sonntagabend, weicht der Ministerpräsident von seiner Marschroute ab. Dabei ist das „System Weil“, nämlich die Absicht, um jeden Preis Harmonie und gepflegte Routine auszustrahlen, wahrscheinlich mitschuldig an der verfahrenen Lage, in die sich die hannoversche SPD mehr und mehr verstrickt hatte.
Wenn Hansmann alles besser machen wollte, war es vorher nicht gut?
Das Schicksal nahm seinen Lauf: Das Rathaus wirkte fast ein Jahr lang als handlungsunfähig, so konnte der Versuch, mit der Hau-Ruck-Kandidatur von Hansmann die Wende zu schaffen, gar nicht mehr überzeugen. Dann beging Hansmann den Fehler, in seiner Wahlkampagne eine „bessere“ Politik zu versprechen und selbst ein Unbehagen mit dem gegenwärtigen Zustand auszudrücken.
Wie musste das auf die SPD-Politiker wirken, die doch bisher immer behaupteten, in Jahrzehnten der SPD-Herrschaft schon alles „gut“ gemacht zu haben? Sollten sie jetzt noch SPD wählen? Die Kluft zwischen Hansmann und den Genossen musste spätestens dann spürbar werden, als sichtbar wurde, wie klein und einsam doch das Team blieb, das ihn wirklich engagiert im Wahlkampf begleitete. Als am Sonnabend vor der Wahl am Kröpcke in Hannover am SPD-Stand Prospekte verteilt wurden, war die niedersächsische SPD-Prominenz eher rar. Auch das ist ein Ausdruck der Entfremdung.
https://soundcloud.com/user-385595761/bereut-marc-hansmann-seine-kandidatur
Wie schön war es doch früher gewesen. Viele Jahre lang war Herbert Schmalstieg der Oberbürgermeister, der auch seinen eigenen Kopf hatte – aber es immer schaffte, einen guten und engen Draht zur Landes-SPD und zur Landesregierung zu pflegen. Im SPD-Bezirk prägte lange Zeit Wolfgang Jüttner die Arbeit, ein kluger Kopf mit enormer Integrationskraft. Unter seiner Verantwortung wäre der Gesprächskontakt zwischen den verschiedenen Ebenen der Partei nie abgebrochen, denn er wusste immer, wie überlebenswichtig eine gute Kommunikation am Ende sein kann.
Ein paar Jahre unter dem beratungsresistenten Schostok, dem harmonieorientierten Weil und einer Stadtpartei, die dem OB nicht die Leviten lesen konnte, reichten aus, eine vorbildliche starke SPD in Hannover in den Ruin zu führen. Erste Rücktritte sind jetzt schon angekündigt. Ob das genug ist, die Wende zum Besseren einzuleiten? Wohl eher nicht. (kw)