Ruhe, Beständigkeit und Unaufgeregtheit – das sind Eigenschaften, die sowohl Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) als auch sein Stellvertreter Bernd Althusmann (CDU) gern nach außen vertreten. Die beiden sind stolz darauf, dass die Große Koalition in Hannover im Vergleich zur Großen Koalition auf Bundesebene relativ geräuschlos arbeitet, dass die Endzeitstimmung, die mit der Kanzlerschaft Angela Merkels seit vergangenem Herbst verknüpft wird, für Niedersachsen nicht gilt. Das Gegenteil sei vielmehr der Fall: Stephan Weil wird, je schwieriger die bundesweiten Probleme der SPD werden, umso stärker als neuer Hoffnungsträger zur Rettung der Partei gehandelt.

Tatsächlich könnte es mit der Beschaulichkeit der Landespolitik im nächsten Jahr vorüber sein. Das könnte an mehreren Gründen liegen.

Das Personal in Berlin: Möglich wäre, dass Innenminister Boris Pistorius, der in jüngster Zeit auffällig oft zur Bundespolitik Stellung bezieht, in Berlin gefragt sein wird – entweder als neuer Bundesjustizminister, falls Amtsinhaberin Katharina Barley schon zum Auftakt des Europawahlkampfes aus dem Kabinett ausscheidet, oder auch als neuer Bundesinnenminister, falls es ein größeres Stühlerücken gibt, die CSU auf das Bundesinnenministerium verzichtet und auch Friedrich Merz (CDU) in das Bundeskabinett einzieht. Das Problem ist: In Niedersachsen gäbe es keinen geborenen Nachfolger für Pistorius. Die Niedersachsen-SPD hätte damit aber auch die Chance, einen der jüngeren Abgeordneten (Christos Pantazis? Wiard Siebels? Ulf Prange?) ins Kabinett aufrücken zu lassen und ein Zeichen der Erneuerung zu setzen.

Die Wahlen im Mai: Stürzt die SPD bei der Europawahl und bei der Bremer Bürgerschaftswahl Ende Mai ab, wäre ein Rücktritt der allgemein ungeliebten Parteichefin Andrea Nahles nicht unwahrscheinlich. Dann könnte Stephan Weil neuer SPD-Chef werden – doch er würde in diesem Fall wohl erst einmal Ministerpräsident bleiben. Kaum vorstellbar wäre allerdings, dass er nicht die Spitzenkandidatur für die nächste Bundestagswahl als Kanzlerkandidat annähme. Eine solche Aufwertung von Weil zur Nummer eins der SPD würde den Fokus der Aufmerksamkeit auf die Regierungsarbeit in Niedersachsen extrem erhöhen. Die Kooperation von SPD und CDU in der Landesregierung wäre auf einen Schlag schwieriger, denn die CDU hätte plötzlich kein Interesse mehr, den Regierungschef in Hannover allzu gut ausschauen zu lassen. Das Gen des permanenten Wahlkampfs würde in die Landespolitik implantiert werden.

Das Ende von Schwarz-Rot in Berlin: Sollte es zum Bruch der Großen Koalition in Berlin kommen, weil entweder die oppositionsfreundlichen Kräfte in der SPD Oberhand gewinnen oder ein Kanzlerwechsel zu Annegret Kramp-Karrenbauer in der CDU ein Jamaika-Bündnis entstehen lässt, so würde das – unabhängig von der Rolle Stephan Weils – die Große Koalition in Hannover unter enormen Belastungsdruck stellen. Bei SPD, Grünen und FDP in Niedersachsen gibt es jeweils genügend Distanz zu den jeweiligen Bundesverbänden der Partei, dass man hierzulande einen Kontrapunkt zur Arbeit in Berlin setzen wollen würde. Die SPD Niedersachsen dürfte auf Grüne und FDP zugehen und auf ein Ampel-Bündnis dringen. Gut möglich wäre dann, dass einige Parteistrategen die Große Koalition in Hannover unter dem Vorwand eines sachlichen Streits zu Bruch bringen und Stephan Weil ein neues Ampel-Kabinett bildet. Antrieb dafür könnte Weils schon bisher verkündete Position sein, in Hannover eine Art „Gegenkultur“ zum hektischen Berliner Politikalltag bieten zu wollen.

Vorgezogene Bundestagsneuwahlen: Nicht wenig spricht heute dafür, dass der Kanzlerkandidat einer vorgezogenen Bundestagswahl auf Seiten der SPD Stephan Weil hieße – weil die Beliebtheitswerte von Andrea Nahles wie auch die von Olaf Scholz viel zu bescheiden sind und sich dann die Blicke automatisch auf den Regierungschef in Hannover richten. Aber der Ministerpräsident einer Großen Koalition, der als Spitzenkandidat seiner Partei bei Bundestagswahlen die Abgrenzung zur CDU sucht, kann kaum weiter auf seine ruhige und gemütliche Art Landespolitik treiben. Weil müsste seine Strategie ändern und sein Image neu formen, was für ihn nicht ohne Risiko wäre. Auch in einer solchen Konstellation wären die Sprengkräfte in der Großen Koalition in Niedersachsen auf einmal enorm.

Plötzliche Haushaltsprobleme: Selbst wenn die Bundespolitik 2019 wider Erwarten ruhig bleibt und die Große Koalition in Berlin sich sogar festigen sollte, droht in Niedersachsen ein Ende des konfliktarmen, fast schon harmonischen Miteinanders von SPD und CDU in der Großen Koalition. Das wäre zum einen bei einem Konjunktureinbruch der Fall, wenn plötzlich Ausgaben gekürzt werden müssten und eine Verständigung über die Schwerpunkte des Rotstifts misslingt. Zum anderen ist denkbar, dass das Rettungskonzept für die Nord/LB die Koalitionäre spaltet. Die CDU ist gegenüber dem Einstieg privater Geldgeber weitaus aufgeschlossener als die SPD. Ein Beitrag des Landes über neue Kredite wird von FDP und Grünen attackiert, liegt aber nah. Das Land dürfte für die Nord/LB einen Milliardenbetrag zusätzlich  ausgeben und hätte gleichzeitig einen drastischen Personalabbau bei der Landesbank. Die Proteste dagegen dürften stark werden und die Landesregierung enorm belasten. Auch symbolisch besetzte Themen wie die Sanierung der Marienburg beinhalten großes Streitpotenzial.

Das neue Jahr verspicht, schon zu Beginn wesentlich spannender zu werden als das alte in seinen letzten Tagen. (kw)