Warten auf den Frühling: In der Landespolitik kündigen sich größere Veränderungen an

Wann wird Ministerpräsident Stephan Weil (65), seit zwölf Jahren im Amt, seinen Rücktritt verkünden und eine personelle Auffrischung in der rot-grünen Landesregierung ermöglichen? Die Anzeichen verdichten sich, dass dazu schon bald nach der Bundestagswahl die ersten Entscheidungen fallen. Am 24. Mai ist SPD-Landesparteitag, der Vorstand wird neu gewählt. Weil dürfte dort den SPD-Landesvorsitz abgeben, dies könnte er spätestens Mitte April intern verkünden. Eine solche Botschaft wird sich dann schnell verbreiten und öffentlich werden. Gut möglich wäre, dass er dies gleich mit dem Rückzug als Ministerpräsident verbindet. Alternativ könnte ein solcher Wechsel in der Staatskanzlei dann im Herbst folgen. Der Hintergedanke ist dieser: Der Nachfolger im Amt des Regierungschefs hätte dann noch rund zwei Jahre Zeit, im neuen Amt Profil und Popularität zu gewinnen. So würden die Siegeschancen der SPD bei der Landtagswahl 2027 optimiert. Alles läuft in diesem Planspiel auf Wirtschaftsminister Olaf Lies (57) als neuen Ministerpräsidenten hinaus.
Die strategischen Überlegungen, die in der SPD angestellt werden, lauten kurzgefasst so: Vor der Bundestagswahl durfte ein Rückzug von Weil nicht thematisiert werden, denn das hätte die Partei zu sehr der Gefahr einer Destabilisierung ausgesetzt. Zwar sind die Mehrheiten für Lies in der Partei sicher, trotzdem würde jede personelle Änderung an der Spitze den Keim einer internen Unruhe in sich tragen, denn es geht ja um die so wichtigen Festlegungen für die zweite und dritte Reihe: Bleiben alle Minister im Amt, auch die schwachen? Wie wird der Proporz von Geschlechtern und Regionen gewährleistet? Welche Staatssekretäre scheiden aus? Dass die Bundestagswahl von Herbst auf Frühjahr 2025 vorgezogen wurde, bedeutete für die Niedersachsen-SPD einen Segen: Wenn man schon in diesem Sommer die Neuaufstellung einleitet, sind damit verbundene Debatten spätestens im Herbst 2025 beendet – also lange genug vor der Kommunalwahl im Spätsommer 2026. Im ganzen Jahr 2026 könnte sich die SPD in starker Geschlossenheit präsentieren, da die heute noch offenen Fragen dann schon beantwortet sind. Das alles wäre bei einer Bundestagswahl im September 2025 so gar nicht einzurichten gewesen.
Gegenwärtig allerdings, rund um die Bundestagswahl, wäre jeder Hinweis auf nahende Veränderungen schädlich für die Sozialdemokraten. Jegliches Zeichen der Schwäche muss jetzt vermieden werden. Sollte die Bundestagswahl für die SPD in einem Desaster enden, wäre die Stimme von Stephan Weil als starke, bundesweit geachtete Autorität in der Partei noch im Niedersachsen-Interesse. Er könnte dann beispielsweise seine Partei überzeugen, als Juniorpartner der CDU/CSU in eine Koalition zu gehen. Außerdem gibt es zwei Personalien, für die Weil sich vermutlich einsetzen müsste und wollte – den Verbleib von Boris Pistorius im Bundesverteidigungsministerium, wenn dies ein Herzensanliegen von Pistorius sein sollte, und die Sicherung der starken Position von Parteichef Lars Klingbeil. Den hält der Ministerpräsident für ein überragendes Talent in seiner Partei. Klingbeil könnte, wenn die SPD am Wahlabend abstürzen sollte, als Hauptverantwortlicher für den Wahlkampf selbst unter Druck geraten. Weils Aufgabe wäre es in dieser Situation, rebellische Genossen auf die Fähigkeiten und die Integrationskraft Klingbeils hinzuweisen. Eine solche Ermahnung könnte er wirksam aber nur in seiner Rolle als unangefochtener Ministerpräsident aussprechen. Im Moment seines Rückzugs dürfte er rapide an Einfluss und Gewicht verlieren.

Diese Umstände haben für die Landespolitik die Folge, dass sie zunächst mal nachrangig wird. Erst bei Klarheit auf der Bundesebene, nach der Amtsübernahme der nächsten Bundesregierung, können in Hannover die Würfel fallen. Dann womöglich aber sehr schnell. Alternativen zu Lies als nächsten Ministerpräsidenten gibt es kaum. Klingbeil wird bei den gegenwärtigen Umständen in der Bundespolitik gebraucht. Sollte er sich dort nicht halten können, wäre ein Ausweichplatz in der Landespolitik höchst unwahrscheinlich. Innenministerin Daniela Behrens tritt zwar selbstbewusst und meinungsstark auf, dürfte aber einen Konflikt mit Lies um die Spitzenposition in Niedersachsen nicht eingehen. Sie wird wohl Innenministerin bleiben – und könnte höchstens den Landesvorsitz anstreben, falls Lies diesen nicht beanspruchen will. Für Braunschweigs OB Thorsten Kornblum und Hannovers Regionspräsidenten Steffen Krach käme ein Wechsel in die Landespolitik zu früh. Beide müssen erst in ihren bisherigen Positionen bei den Direktwahlen im September 2026 bestätigt werden. Da sie zur Riege der 40-Jährigen in der SPD zählen, kommen sie mittel- und langfristig durchaus für führende Ämter in der Landespolitik in Betracht. Nur jetzt noch nicht. Gleiches gilt für Justizministerin Kathrin Wahlmann. Für ihr Schicksal hängt viel davon ab, ob sie die Affäre um den der Korruption beschuldigten Staatsanwalt Yashar G. weiterhin klug und umsichtig managt. Bisher hat sie hier keine größeren Fehler gemacht.

Dass nun alles auf Lies hinausläuft, bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass sich Personaldebatten in der SPD erübrigen würden. Das fängt an mit der Frage nach Lies‘ Kabinett. Die SPD im Bezirk Hannover wäre am Zuge für das freie Amt des Wirtschaftsministers, außerdem verlangt der Geschlechterproporz eigentlich nach einer Frau. Nun hat der SPD-Bezirk Hannover eine Frau im Kabinett, Europaministerin Wiebke Osigus. Sie hat wenig Profil entwickelt und könnte keinesfalls sicher sein, bei der Neubildung der Regierung dort weiter zu bleiben. Ins Kabinett wechseln könnte eine der SPD-Bundestagsabgeordneten, die ihren Wahlkreis nicht verteidigen können und aus dem Bundestag fliegen. Das wäre denkbar bei Frauke Heiligenstadt aus Northeim, Svenja Stadler aus dem Kreis Harburg oder Marja-Liisa Völlers aus dem Kreis Nienburg. Gerade die Namen der 48-jährigen Stadler und der 40-jährigen Völlers wären auch ein Beitrag zum Generationswechsel in der Landesregierung. Völlers indes steht für den „Seeheimer Kreis“, also die Rechten in der SPD. Sie ist damit im Bezirk Hannover in der Minderheit. Die Schwierigkeit eines neuen Personaltableaus besteht nicht zuletzt darin, auch auf eine angemessene Vertretung der Parteiflügel zu achten – wie auch darin, dass die Landtagsfraktion sich nicht völlig übergangen fühlt.
Für das Wirtschaftsministerium ist indes auch eine Seiteneinsteigerin aus einem großen Unternehmen, der Continental AG, im Gespräch. Der Vertrag der dortigen Arbeitsdirektorin Ariane Reinhart war Ende 2021 verlängert worden – und zwar ausdrücklich bis September 2025. Diese Dauer stehe, hieß es damals, „im Einklang mit Reinharts persönlicher Lebensplanung“. War das schon ein Wink mit dem Zaunpfahl? Jüngst war die Conti-Arbeitsdirektorin als Gast bei der Kabinettsklausur der Landesregierung anwesend. Manche unkten hinterher, dies könne schon einem „Vorfühlen“ gedient haben – nämlich dem Einstieg von Reinhart als Lies-Nachfolgerin in die Landesregierung, und zwar auf dem Ticket des SPD-Bezirks Hannover. Eine Nähe zur IG-Metall, die für die sozialdemokratische Seele wichtig wäre, ist bei Reinhart offensichtlich vorhanden, die nötige Kenntnis von Wirtschaftsabläufen sowieso.
Käme eine Neuaufstellung der SPD in der Landesregierung für die zweite Halbzeit der Legislaturperiode so oder so ähnlich, dann würden die Sozialdemokraten damit wohl einen neuen Schwerpunkt auf die Wirtschaftspolitik legen. Dass die Grünen als Koalitionspartner die Situation des MP-Wechsels ebenfalls nutzen würden für eine Neuaufstellung, ist eher nicht zu erwarten – trotz der Tatsache, dass gerade Vize-Ministerpräsidentin und Kultusministerin Julia Hamburg stark unter Druck steht und in ihrem Amt kaum große Erfolge vorweisen kann. Aber Julia Hamburg ist keine Frau, die schnell aufgibt oder leichtfertig eine einmal errungene Machtposition räumt. Und die anderen Grünen-Minister glänzen zwar auch nicht ständig, wirken aber in der gegenwärtigen landespolitischen Konstellation als stabil. Das Problem der Grünen ist auf mittlere Sicht nur, dass sie mit den gewohnten Köpfen neben einer erneuerten SPD in der Regierung kaum eine Art von Aufbruchstimmung symbolisieren können.
Dieser Artikel erschien am 17.02.2025 in der Ausgabe #031.
Karrieren, Krisen & Kontroversen
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