Darum geht es: In Niedersachsen ist die Zahl der Anträge für einen „kleinen Waffenschein“ wieder leicht gesunken, nachdem im Vorjahr exorbitant viele Berechtigungen zur Führung von Schreckschuss- und Gaspistolen ausgegeben worden waren. Ein Kommentar von Isabel Christian.

„Jetzt reicht’s, jetzt nehmen wir die Sache selbst in die Hand“ – das haben sich offenbar viele Menschen gedacht, als die Ereignisse der Kölner Silvesternacht 2015/16 Stück für Stück offenbar wurden. Viele Prominente und Nichtprominente haben damals öffentlich zum Ausdruck gebracht, dass sie das Vertrauen in den Staat und seine Fähigkeit, die Bürger zu schützen, zum Teil verloren haben. Dieser Vertrauensverlust lässt sich in realen Zahlen messen. Zum Beispiel an der Anzahl der ausgegebenen „kleinen Waffenscheine“. Damit ist man berechtigt, Schreckschusswaffen, Gas- oder Signalpistolen nicht nur zu besitzen, sondern auch in der Öffentlichkeit bei sich zu tragen. Besaßen in Niedersachsen in 2015 noch 26.429 Menschen einen „kleinen Waffenschein“, so ist ihre Zahl im Jahr darauf sprunghaft auf 45.018 gestiegen. Besonders krass ist das Beispiel der Region Hannover als Untere Waffenbehörde für einen Teil der Gemeinden um Hannover. Hier hat sich die Zahl der Anträge für einen „kleinen Waffenschein“ innerhalb nur eines Jahres verzehnfacht.

Zwei Jahre nach den Ereignissen am Kölner Dom scheint die Erinnerung zu verblassen. Im vergangenen Jahr wurden niedersachsenweit weniger Anträge für einen „kleinen Waffenschein“ gestellt. Das Innenministerium sieht deshalb keinen akuten Handlungsbedarf. Doch es wäre ein Trugschluss, darauf zu setzen, dass sich die Lage wieder normalisiert. Die Zahl der Anträge mag zurückgehen, doch die Situation wird eine andere bleiben als vor der Silvesternacht. Deswegen müssen Bund und Länder jetzt handeln und den Zugang zum „kleinen Waffenschein“ erschweren.

Wer das Gefühl hat, sich auf die Polizei verlassen zu können, der braucht selbst keine Waffe.

Das Gewaltmonopol liegt allein beim Staat und dort gehört es auch hin. Nur Menschen im Staatsdienst und solche, die einen plausiblen Grund und die Befähigung dazu haben, dürfen Waffen tragen. Selbstjustiz gehört nicht in unser Verständnis von Gesellschaft. Was passiert, wenn man dieses Prinzip aufweicht, lässt sich regelmäßig in den USA beobachten. Nun kann man argumentieren, Hannover ist nicht Houston, hier rennt kein Privatmensch legal mit einer automatischen Pistole auf der Straße herum. Doch auch hier gehen Menschen auf die Straße, die eine täuschend echt aussehende Pistole bei sich tragen. Nicht einmal Polizisten können sagen, ob ein Verdächtiger gerade mit einem Pistolenimitat auf sie zielt oder sich tatsächlich ein Projektil im Lauf befindet. In Zeiten von ständiger Alarmbereitschaft wegen Terrorgefahr ist es daher fahrlässig, solche Verwechslungen nicht gesetzlich einzudämmen.

Dazu kommt, dass man die Waffen, deren Nutzung der „kleine Waffenschein“ erlaubt, eigentlich gar nicht braucht. Müsste man einen Grund angeben, um den Schein zu bekommen, hätten die meisten in den vergangenen zwei Jahren wohl gesagt: „Aus Selbstschutz“. Doch der Besitz der Waffen vermittelt nur eine trügerische Sicherheit. Sie mögen einen Einbrecher verjagen können oder jemanden, der einen gerade überfallen will. Aber genauso gut können sie Auslöser für eine Eskalation der Lage sein. Aus nächster Nähe abgefeuert, können Schreckschusspistolen verletzen. Nicht nur den Angreifer, auch ihren Besitzer. Das muss den Menschen wieder stärker klargemacht werden. Waffen jeder Art in der Hand von Laien sind nun einmal gefährlich. Doch damit das bei den Bürgern ankommt, muss der Staat dafür sorgen, dass sie sich wieder sicher fühlen. Das geht nur begrenzt mit Statistiken, aber schon mit mehr Polizisten. Wenn die Staatsgewalt auf der Straße zu sehen ist, vermittelt das den Bürgern das Gefühl: Da ist jemand, der passt auf mich auf. Wer das Gefühl hat, sich auf die Polizei verlassen zu können, der braucht selbst keine Waffe.

Allerdings sollte sich der Staat in einer Situation wie dieser, in der große Unsicherheit ob der eigenen Sicherheit herrscht, auch stärker dafür einsetzen, dass sich seine Bürger in begrenztem Maß selbst verteidigen können. Das Innenministerium hat einen Schritt in diese Richtung gemacht, indem es die Unteren Waffenbehörden auf der Höhe der Antragswelle angewiesen hat, den Antragstellern Alternativen zur Selbstverteidigung aufzuzeigen. Doch es reicht nicht, nur auf sporadische Selbstverteidigungskurse in der Volkshochschule hinzuweisen. Die Angst um die eigene Sicherheit ist ein ernstzunehmendes Problem in der Gesellschaft geworden, vor allem bei Frauen. Konsequent wäre es daher, ein Förderkonzept aufzulegen, das möglichst vielen Frauen – und Männern – ein breites und kostenloses Angebot macht, sich selbst zu verteidigen zu lernen. Denn Selbstsicherung darf keine Frage des Geldes oder des Wohnortes sein.

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