Vordringlicher Bedarf
Darum geht es: Wie lange dauert es noch bis zum absoluten Kollaps auf den Autobahnen? Die Verkehrsinfrastruktur muss eines der zentralen Themen der neuen Landesregierung nach der Landtagswahl werden, meint Martin Brüning.
Gestern auf der A2: Lastwagen reiht sich an Lastwagen, Stop an go ist an der Tagesordnung, die Rastplätze sind am Abend völlig überfüllt. Wer sich ein Bild davon machen möchte, dass die Verkehrsinfrastruktur nicht nur die Grenzen ihrer Belastbarkeit erreicht, sondern vielfach längst überschritten hat, muss nur auf die Auffahrt zur nächsten Autobahn fahren. Wenn es bei einem geplanten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur gut läuft, bekommt er im Bundesverkehrswegeplan das Etikett „vordringlicher Bedarf“. In Niedersachsen erleben zehntausende Menschen Tag für Tag die Bedeutung des „vordringlichen Bedarfs“, während sie mit ihrem Auto im Stau auf dem Asphalt stehen, neben ihnen das „Tempo 120“-Schild.
Wir müssen nicht mehr von einem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sprechen, es handelt sich vielmehr um eine Anpassung, um das System vor dem völligen Kollaps zu bewahren. Die Logistikbranche boomt, sie ist ein wichtiger Wachstumsmotor in Niedersachsen. Und das wird sie auch bleiben, zumal nicht zu erwarten ist, dass die Verbraucher ihr Online-Kaufverhalten morgen ändern werden. Die Verkehrsinfrastruktur muss deshalb dem Konsumverhalten angeglichen werden. Das beinhaltet selbstverständlich auch eine Verbesserung beim Güterverkehr auf der Schiene und einen stärkeren Fokus auf die Wasserstraßen. Dennoch: fast drei Viertel der Güter werden auf der Straße transportiert. Man kann das beklagen, aber man muss eben auch darauf reagieren.
Die Entscheidungen, den Ausbau eines Teilabschnitts der A2 in den vordringlichen Bedarf zu nehmen, sind erste Hoffnungsschimmer. Aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass das eher homöopathische Eingriffe werden, und die Planungen werden Jahre in Anspruch nehmen. Für 30.000 Fahrzeuge war die A2 einmal geplant worden. Inzwischen fahren dort auf den meistbefahrenen Abschnitten täglich bis zu 130.000 Fahrzeuge, darunter sind 30.000 Lastwagen. Angesichts der Unfallstatistik sieht die Polizei den Ausbau des geplanten Teilabschnitts positiv, wünscht sich aber bereits jetzt, dass weitere Abschnitte hinzukommen.
Während die Grünen von mit Solarpanels überdachten Schnellradwegen in den Städten schwärmen, stehen die Pendler in ihren Autos vor roten Ampeln oder im Stau
Die Landesregierung hat sich in den vergangenen Jahren mit der Verkehrsinfrastruktur schwer getan. Am Ende wurde das Stöhnen in der SPD über den grünen Koalitionspartner immer lauter. Während die Grünen von mit Solarpanels überdachten Schnellradwegen in den Städten schwärmen (mit Sicherheit eine gute Idee), stehen die Pendler in ihren Autos vor roten Ampeln oder im Stau. In kaum einem anderen politischen Feld sind Realität und Visionen so weit voneinander entfernt wie in der Verkehrspolitik.
Die neue Landesregierung sollte hier Nägel mit Köpfen machen, gerade weil die Bauprozesse Jahre dauern werden. Es braucht nicht nur mehr Personal für Planfeststellungsverfahren, sondern auch eine bessere Koordination der Bautätigkeiten. Derzeit werden sie von mehr als 2000 Mitarbeitern in verschiedenen Ressorts verantwortet. Besser wäre es, die Kompetenzen zu bündeln. Mehr Tempo, mehr Effizienz und eine einheitlich hohe Qualität wären wichtige Voraussetzungen für die Herausforderungen kommender Jahre. Es liegt nicht allein am Bund. Auch die neue Landespolitik muss ihre Hausaufgaben machen.