Vom Kopf auf die Füße
Darum geht es: Das Bundeskabinett will heute über den Klimaschutzplan 2050 entscheiden. Zuvor hatte es deutliche Kontroversen über einzelne Punkte des Plans gegeben. Ein Kommentar von Martin Brüning.
Was sagt uns die aktuelle Debatte über den Klimaschutzplan 2050 eigentlich über die Wirtschafts- und Industriepolitik der CDU? Während der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, Werner Bahlsen, und der Hauptgeschäftsführer von Niedersachsenmetall, Volker Schmidt, die Wirtschaftskompetenz der Bundes-CDU öffentlich in Frage stellen, sind es CDU-Politiker, die beim Klimaschutzplan in letzter Minute versuchen, den von der Industrie „Horrorkatalog“ genannten Plan zu entschärfen. Allerdings sind es Politiker wie NRW-Landeschef Armin Laschet, der vorher noch nie als Industriepolitiker aufgefallen ist und sich vor allem, das ist legitim, um die heimische Kohleindustrie sorgt. Und es ist, wie üblich, Michael Fuchs, der in Berlin viel fordern kann, ohne dass das auf die Politik der Bundesregierung irgendwelche Auswirkungen hätte – ebenfalls wie üblich. Noch Fragen?
Die Bundesregierung erkennt in dieser Woche den Unterschied zwischen Paris und Marrakesch. Nach Paris konnte man sich noch selbstzufrieden dem Glauben hingeben, die globale Erwärmung mit globaler Einigkeit in den Griff zu bekommen. Es stand schließlich auf dem Papier. In Marrakesch soll aus dem Papier ein realistischer Fahrplan werden – mit allen Auswirkungen, die das für Wirtschaft und Gesellschaft mit sich bringt. Mögen Kommentatoren in überheizten Büros von „schmerzhaften Einschnitten“ schreiben, die nun einmal nötig seien. Treffen werden diese Einschnitte vor allem die Industrie und die Menschen mit geringerem Einkommen: Sie können sich das neue Auto nicht leisten, sie leiden überdurchschnittlich unter höheren Energiekosten und ihr Job ist als erster in Gefahr, wenn Arbeitsplätze abgebaut werden.
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Was dem Manager seine „Disruption“ ist dem Umweltschützer seine „Dekarbonisierung“: In all dem Public-Relations-Dröhnen für eine CO2-freie Welt, an der inzwischen eine ganze Lobby- und Beratungsindustrie eine Menge Geld verdient, ist es schwer, klaren Kopf zu behalten und sich auf einen Weg zu begeben, bei dem niemand auf der Strecke bleibt. Die versprochenen neuen Jobs durch neue Klimaschutztechnologien ersetzen noch lange nicht Millionen von Arbeitsplätzen, die mit Klimaschutz nicht besonders viel zu tun haben. Und Teile der Politik hoffen auf Technologiesprünge, die noch nicht einmal auf dem Papier stehen und sich noch als schwierig erweisen werden.
Das alles bedeutet nicht, dass mehr Klimaschutz keine gute Sache ist und dass es sich nicht lohnen kann, zu investieren und intensiv zu forschen. Es fehlen in der oftmals einseitigen Debatte aber die Zwischentöne ernstzunehmender Mahner, die Konzepte vom Kopf auf die Füße stellen. Zwischen Horrorlisten und Heilsverspechen wäre vermutlich viel Platz für ein realistisches Klimaschutzkonzept, das den Fortbestand des Industriestandorts und seiner Arbeitsplätze einbezieht, ohne auf die nötigen technologischen Fortschritte verzichten zu müssen.