Die SPD/CDU-Koalition in Niedersachsen will dem Klimaschutz eine höhere Bedeutung verschaffen. Doch der Plan, dafür einen eigenen Artikel in die Landesverfassung zu schreiben, erntet bei Rechtsexperten Skepsis bis offene Ablehnung. Im Entwurf von SPD und CDU war vorgesehen, das Staatsziel „Klimaschutz“ mit einem Artikel 6c festzuschreiben – direkt hinter 6a (Staatsziel Arbeit und Wohnen) und 6b (Staatsziel Tierschutz).

Distanziert beurteilt der Präsident des Staatsgerichtshofs, Thomas Smollich, diese Absicht. Er verweist auf Artikel 1, Absatz 2 der Landesverfassung, in dem es heißt: „Das Land Niedersachsen ist ein freiheitlicher, republikanischer, demokratischer, sozialer und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichteter Rechtsstaat…“ Nach der herrschenden Meinung der Staatsrechtslehre und auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei klar, dass unter „natürliche Lebensgrundlagen“ auch der Klimaschutz zu verstehen ist.

Wenn nun neben diesem bestehenden ersten Artikel der Verfassung der Klimaschutz noch einmal in einem neuen Artikel 6c hervorgehoben werde, dann sei die Beziehung der beiden Bestimmungen zueinander „unklar“, klagt Smollich. Dann könne aus der Doppelung unter Umständen sogar abgeleitet werden, dass der Klimaschutz „bedeutsamer ist als die anderen Staatsziele“. Die „Gefahr einer solchen Auslegung“ bestehe durchaus. Praktisch könne dies heißen, dass beim Bau neuer Windparks ein Konflikt zwischen Artenschutz und Klimaschutz entstehen könne – und dieser dann vor Gericht womöglich zwangsläufig zugunsten des Klimaschutzes und für den Bau entschieden werden müsse. Üblich sind bisher die Abwägungen verschiedener Staatsziele gegeneinander.


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Der Präsident des Staatsgerichtshofs widersprach gleichzeitig der landläufigen Meinung, Staatsziele in der Verfassung hätten sowieso nur symbolischen Charakter und seien für die praktische Politik fast ohne Bedeutung. Das stimme nicht, da zwar ein Bürger aus Staatszielen keine Ansprüche auf eine bestimmte Politik ableiten könne, doch der Staat sei verpflichtet, den in der Verfassung festgelegten Staatszielen Folge zu leisten. Wie er das tun wolle, sei aber ihm überlassen.

Gibt es bald ein ökologisches Existenzminimum?

Allerdings sieht Smollich Beispiele aus der jüngsten deutschen Geschichte, wie eigentlich als bloßes Staatsziel formulierte Grundsätze sich in Kombination mit anderen Verfassungsbestimmungen zu Ansprüchen an den Staat entwickelt hätten – etwa das Recht auf das Existenzminimum im Sozialrecht und das auf einen Studienplatz im Hochschulrecht. Bei Verfassungsjuristen gebe es durchaus die Debatte, auch ein „ökologisches Existenzminimum“ zu definieren – auch wenn das Bundesverfassungsgericht bisher davon noch Abstand nehme. In den Niederlanden habe das oberste Gericht die Minderung von CO2-Emissionen aus Ableitung aus der Europäischen Menschenrechtskonvention für Recht erkannt.

Der Fuldaer Umweltrechtler Prof. Christian Schrader zitiert eine österreichische Bundesgerichtsentscheidung, den Bau einer Flugplatz-Startbahn zu untersagen, weil der Klimaschutz als Staatsziel dagegen stehe. Dies habe jedoch das oberste Gericht des Landes dann wieder aufgehoben. Für Smollich und Schrader sind das aber Indizien, dass der Umgang mit Staatszielen nicht leichtfertig, sondern wohl überlegt sein sollte. Schrader kritisiert darüber hinaus den Gesetzesvorschlag der Grünen, der darauf abzielt, alle bestehenden Gesetze künftig am Maßstab des Klimaschutzes messen zu wollen – und dabei als Grundlage auch die völkerrechtlichen Verträge zur CO2-Minderung (die in Bundesrecht überführt sind) zu nehmen. Damit werde schon das Staatsziel Klimaschutz absolut gesetzt.

Klimaschutz gegenüber anderen Staatszielen „enorm aufgewertet“

Prof. Ines Härtel, Jura-Professorin aus Frankfurt (Oder), sieht Niedersachsen als „bundesweiten Vorreiter“, sollte tatsächlich – wie bisher geplant – ein eigenes Staatsziel Klimaschutz in die Landesverfassung geschrieben werden. Wenn das geschehen sollte, wäre allerdings auch aus ihrer Sicht der Klimaschutz gegenüber anderen Staatszielen enorm aufgewertet. In Schleswig-Holstein werde derzeit über ein solches Staatsziel in der Verfassung diskutiert, in Bayern sei die Verfassungsänderung in diese Richtung gescheitert, weil die Zweidrittelmehrheit nicht zustande kam.

Auf Nachfrage von Gerd Hujahn (SPD) räumte Prof. Härtel ein, dass anstelle eines neuen Verfassungsartikels 6c ja auch der Artikel 1 ergänzt werden könne: „der natürlichen Lebensgrundlagen, insbesondere dem Klimaschutz,…“ Große Skepsis gegenüber einem neuen Staatsziel hegt hingegen Prof. Mattias Fischer von der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung. „Staatsziele wecken Erwartungen, die die Politik nicht erfüllen kann – da Exekutive und Legislative frei sind in den Wegen, die zum Ziel führen.“ Daher sei der Plan der Koalition in Niedersachsen „vollmundig“, man produziere damit „viele Enttäuschungen“.