Brigadegeneral Udo Schnittker ist Kommandeur des 2013 gegründeten Kommandos Feldjäger der Bundeswehr. Dem Kommando mit Sitz in Hannover sind alle Einheiten der Militärpolizei in Deutschland untergeordnet. Im Interview mit dem Politikjournal Rundblick spricht Schnittker über das Auftreten der Soldaten in der Öffentlichkeit, über den Umgang mit extremistischen Soldaten und über seine Ansichten zur Kritik von Bundesverteidigungsministerin Ursula von Leyen.

Rundblick: Herr Schnittker, kommendes Wochenende öffnen drei Kasernen in Niedersachsen wieder ihre Tore für Besucher, Anlass ist der bundesweite und mittlerweile dritte „Tag der Bundeswehr“. In der Beschreibung auf der Webseite heißt es, der Tag solle „die Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft stärken“. Gibt es einen Nachholbedarf?

Schnittker: Das kann ich pauschal nicht beantworten. Ich glaube, dass das Verhältnis zwischen Bundeswehr und Bevölkerung beispielsweise in Bayern ein anderes ist als in Niedersachsen Hinter dem „Tag der Bundeswehr“ steht die Frage: „Tun wir genug für unsere Außenwahrnehmung, sind wir noch bei den Menschen, unter denen wir arbeiten und leben?“  Wir müssen uns bewusstmachen, dass wir Kriegswaffen tragen und benutzen. Wie kann es da sein, dass viele Leute gar nicht wissen, wer wir sind und was wir machen? Immerhin werden wir durch Steuergelder finanziert. Deshalb müssen wir aktiv werden und die Leute zu uns einladen.

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Rundblick: Geht diese Strategie denn auf?

Schnittker: Vor zwei Jahren waren auch die Feldjäger in Hannover beim „Tag der Bundeswehr“ dabei. Es kamen etwa 6000 Besucher. Auf die Bevölkerung in der Stadt gerechnet, ist das wenig. Aber vergleicht man die Zahl mit anderen Veranstaltungen in Hannover, so ist das gar nicht schlecht. An dem Tag habe ich festgestellt, dass viele Besucher auf Soldaten zugegangen sind und sie ausgefragt haben. Diese Neugierde gefällt mir. Das zeigt, dass Interesse da ist und wir nun liefern müssen. Wir müssen zeigen, dass wir ein Teil der Gesellschaft sind. Die Soldaten haben Familien, die in der Stadt leben, arbeiten, zur Schule gehen. Zwei Soldaten aus meinem Kommando sind sogar Kommunalpolitiker. Das unterstützen wir, etwa indem sie für die Dauer ihrer Tätigkeit in den kommunalen Gremien nicht – wie es sonst bei Soldaten üblich ist – versetzt werden.

Rundblick: Als das Heer sich 2015 aus Hannover verabschiedete, wurde auch das letzte Sommerbiwak gefeiert. Statt das Sommerfest mit dem illustren Gästekreis weiterhin zu pflegen, laden die Feldjäger lieber die Musikkorps der Bundeswehr und der Polizei ein und lassen sie auf dem Kröpcke-Platz für alle Bürger musizieren. Warum?

Schnittker: Ich bin damals gefragt worden, ob wir das Biwak weiter feiern wollen, und habe aus zwei Gründen abgelehnt. Zum einen zählt mein Kommando weniger Soldaten als die 1. Panzerdivision. Wir können die Organisation nicht stemmen. Außerdem war das Biwak für uns eher Arbeit, denn wir mussten es zusammen mit der Landespolizei absichern. Auf der anderen Seite stelle ich mir Bundeswehr in der Gesellschaft nicht hinter hohen Zäunen und abgeschirmt von allen und allem vor. Ich stoße lieber die Bürger mit der Nase darauf, dass wir da sind. Und das geht mit Musik am besten. Deshalb haben wir uns schon zum zweiten Mal mit der Stadt Hannover zusammengetan und ein Konzert organisiert. 120 Musiker und eine Sängerin werden am 14. Juni mitten in der City spielen – das wird prima.

Rundblick: Warum ist es der Bundeswehr gerade jetzt so wichtig, sich zu zeigen? Hat das etwas mit der Bundeswehrreform und dem Nachwuchsmangel zu tun?

Schnittker: Nachwuchsarbeit und Öffentlichkeitsarbeit gehen eigentlich ineinander über. Auch um Nachwuchs zu gewinnen, müssen wir uns offen präsentieren. Dazu gehört auch die Kritikfähigkeit. Wir wollen sogar, dass sich Interessenten kritisch mit uns auseinandersetzen. Wir brauchen niemanden, der sich nur des Geldes wegen verpflichtet. Obwohl das ein legitimer Grund ist. Es reicht aber nicht für einen Job, bei dem man sein Leben und seine Gesundheit riskiert. Dafür muss man auch von der Sache selbst überzeugt sein. Bei den Feldjägern zumindest haben wir kein Nachwuchsproblem.

Rundblick: Woran liegt das?

Schnittker: Ich glaube, dass die Mischung aus Zugehörigkeit zur Bundeswehr und polizeiähnlichen Aufgaben für junge Leute interessant ist. Zudem sind unsere Feldjäger nach ihrer Dienstzeit auch bei der Polizei und in der Wirtschaft gefragt. Wir haben zum Beispiel eine Kooperation mit Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Feldjäger, die die Bundeswehr verlassen, können da gleich im mittleren Dienst als Polizeibeamte einsteigen, ohne Laufbahnprüfung und mit verkürzter Ausbildung. Auch die Sicherheitssparte der Deutschen Bahn ist schon auf uns zugekommen und hat nach ausscheidenden Zeitsoldaten gefragt.

Rundblick: Momentan steht die Bundeswehr aber auch in der Kritik. Mehrfach sind in diesem Jahr schon Fälle sexueller Belästigung öffentlich geworden und der Fall des Oberleutnants Franco A. offenbart, dass die Bundeswehr auch gegen Rechtsextremismus bisher zu lasch vorgegangen ist. Wie hat das Ihrer Meinung nach das Bild der Gesellschaft von der Bundeswehr beeinflusst?

Schnittker: Meiner Erfahrung nach gibt es Teile, die sagen: „Das seid ihr doch gar nicht.“ Dann gibt es Teile, die sagen: „Wir haben es doch schon immer gewusst.“ Aber im Großen und Ganzen habe ich nicht den Eindruck, dass die Gesellschaft ein generelles Problem mit der Bundeswehr hat. In der Bundeswehr wurden Fehler gemacht. Aber es wird deutlich, dass dahinter kein System steckt. Und wir arbeiten an uns. Gleichzeitig erwarte ich von der Politik aber auch mehr als Lippenbekenntnisse.

Rundblick: Kommt nicht die politische Bildung in der Bundeswehr zu kurz?

Schnittker: Das höre ich immer wieder: Die Gefechtsbereitschaft nehme einen so großen Raum im Dienst ein, dass die politische Bildung darunter leide. Wir müssen die Aufklärung über historische Abläufe und politische Sachverhalte ernster nehmen als bisher. Ich denke nicht, dass die Bundeswehr ein Vertrauensproblem hat. Aber es hat bedenkliche Einzelfälle gegeben, vielleicht sind wir auch ein bisschen zu blauäugig gewesen bei Soldaten, die sich außerhalb der politischen Ordnung bewegt haben. Nun denke ich, wird sich die Herangehensweise ändern. Ich habe schon 2015 für meine Truppe den Traditionsrahmen ab dem Jahr 1956 gesetzt und einen meiner Offiziere beauftragt, in seiner Dissertation die Geschichte der Feldjäger und in der Wehrmachtszeit mögliche personelle Kontinuitäten nach 1945 aufzuarbeiten.

Rundblick: Wie reagieren Sie auf die Kritik von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die Bundeswehr habe „ein Haltungsproblem“?

Schnittker: Als die Ministerin das gesagt hat, war ich zunächst ziemlich geschockt. Später hat sie sich in vielen internen Runden und auch in der Öffentlichkeit für ihre Wortwahl entschuldigt, und das war auch gut. Heute denke ich, dass sie sich auf dem richtigen Weg befindet. Vielleicht hat die Bundeswehr jetzt eine Chance, sich in Hinblick auf die Vergangenheit klarer zu positionieren.