Verfassungsschutz: Mehr Islamisten ziehen sich ins Verborgene zurück
Vom Islamismus und vom Salafismus geht nach wie vor auch in Niedersachsen „die größte Bedrohung für die innere Sicherheit aus“, erklärte Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut am Mittwoch bei der Vorstellung des neuen Berichtes seiner Behörde. Allerdings stellte das Landesamt einen deutlichen Wandel fest, der die Überwachungsarbeit eher erschweren als erleichtern dürfte: Immer mehr Gruppen würden konspirativ agieren und sich aus festen Strukturen, etwa Moscheegemeinden oder Gebetskreisen, zurückziehen. Sie würden zunehmend konspirativ agieren.
„Die bisherigen Bezugspunkte verlieren an Bedeutung, die Szene ist immer stärker fragmentiert, zunehmend agiert sie verdeckt“, erklärte Witthaut. Man bewege sich „in kleineren, abgeschotteten Kreisen“. Eine klare Grenze zwischen dem, was vermeintlich nur religiös ausgerichtet ist, und den politischen Motiven lasse sich immer schwerer ziehen. Der Verfassungsschutzpräsident beobachtet mit Sorge, dass immer mehr Kinder in einem „salafistischen Lebensumfeld“ aufwachsen. Seine Behörde verstärke den Versuch, in solche Strukturen vorzudringen, viele interdisziplinäre Fachkonferenzen dienten dem beispielsweise. Die Gebietsverluste des „islamistischen Staates“ hätten zur Folge, dass die Organisation weiter unter Druck ist und mit Anschlägen an anderen Orten auf sich aufmerksam machen wolle. So seien auch die schlimmen Attentate zu Ostern auf Sri Lanka zu verstehen.
Im vergangenen Jahr zählte der niedersächsische Verfassungsschutz 880 gewaltbereite Salafisten im Land, das sind 30 mehr als im Jahr zuvor. Seit der Eskalation des syrischen Bürgerkrieges sind 85 Niedersachsen in den Irak und nach Syrien ausgereist, 2018 kam jedoch kein weiterer hinzu. 37 Menschen kehrten von dort bisher wieder zurück, im vergangenen Jahr waren es zwei. Nach Angaben von Witthaut und Innenminister Boris Pistorius (SPD) will man an der Strategie festhalten, salafistische Vereine notfalls auch zu verbieten, wenn dort offen zu Gewaltverherrlichung und Krieg aufgerufen wird – trotz der Nachteile, die damit womöglich für die Observation folgen könnten.
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Der neue Verfassungsschutzbericht beschreibt auch Veränderungen bei anderen extremistischen Gruppierungen: Im rechtsextremen Bereich verliert die NPD immer mehr, es sind jetzt 250 Anhänger, 50 weniger als 2017. 590 Menschen werden der subkulturellen rechtsextremen Szene zugeordnet, 50 der „Identitären Bewegung“. Die „Reichsbürger“, die nicht alle rechtsradikal eingestuft werden, zählen nach wie vor rund 1400 Personen. Witthaut sagt, rechte Kameradschaften versuchten immer stärker, Netzwerke zu bilden und so den Bedeutungsverlust der überlieferten Organisationen auszugleichen.
Über Konzerte mit rechtsextremer Musik plane man dann, junge Leute für sich einzunehmen. Doch in Niedersachsen habe es bisher keines solcher Konzerte gegeben – sie würden fast ausschließlich in Ostdeutschland angeboten. Ethnopluralistische Gruppen, die offen fremdenfeindlich sind, würden sich schwerpunktmäßig in den Regionen Hannover, Hildesheim, Braunschweig und Lüneburg betätigen. Pistorius beklagt, dass es immer schwerer falle, eine Trennungslinie zwischen rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Gruppierungen zu ziehen. Bei bestimmten Demonstrationen, etwa vergangenes Jahr in Chemnitz, würden diese beiden Bereiche oft zusammen auftreten.
Leichter Zuwachs beim Linksextremismus
Beim Linksextremismus stellt der Verfassungsschutz einen leichten Zuwachs um 60 auf 700 Personen fest. Bestimmend sei die autonome Szene, die sich immer stärker an aktuellen Ereignissen orientiere und versuche, über Bündnisse mit anderen Gruppen „in die politische Mitte vorzudringen“. So hätten Linksextremisten den Organisatoren der freitäglichen Schülerproteste Unterstützung bei der Organisation angeboten. Ähnliches sei vor Monaten bereits in Nordrhein-Westfalen bei den Protesten gegen Abholzungen im Hambacher Forst zu beobachten gewesen. Witthaut erklärte, auch der Antisemitismus bleibe ein großes Problem – zunehmend kämen solche Aktivitäten auch von links und seien als „angebliche Kritik an Israel“ getarnt. Der Verfassungsschutzpräsident sagte, seine Behörde bleibe „als Frühwarneinrichtung“ gefordert.
Minister Pistorius sieht für deren Arbeit allerdings bisher keinen Grund, die Befugnisse zu erweitern. „Zunächst sollten wir die bestehenden Möglichkeiten ausschöpfen.“ Auf Bundesebene wird gegenwärtig diskutiert, ob diese Behörden künftig ermächtigt werden sollen, Extremisten online auszuspionieren. Im Unterschied zu Pistorius erklärte der CDU-Innenpolitiker Thomas Adasch, das niedersächsische Verfassungsschutzgesetz solle „an dieser Stelle nachgebessert werden“. Vorbild solle das neue Polizeigesetz sein, das diese Ermittlungsmethoden bereits aufgenommen hat.