Einen Tag, nachdem Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) den salafistischen Verein „Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft“ (DMG) in Braunschweig verboten hat, stellte sie am Donnerstag den neuen Bericht des Landes-Verfassungsschutzes vor. Dabei beschrieb sie „starke Radikalisierungstendenzen in der Gesellschaft“, welche die Demokratie, die Freiheit „und die Art, wie wir leben“ von vielen Seiten angriffen. Es sei eine „brisante Mischung fundamentaler Gegner unserer Demokratie“ zu beobachten. Der Verfassungsschutz diene als „Frühwarnsystem“, um derartige Tendenzen rechtzeitig aufdecken und bekämpfen zu können, lobte Behrens. Auch die DMG war viele Jahre Gegenstand der Berichte ihres Hauses.

Obwohl Behrens feststellte, dass die Gefahr durch den Islamismus weiter hoch sei, betonte sie: „Der Rechtsextremismus bleibt die größte Gefahr für unsere Demokratie.“ Insgesamt geht man für 2023 von 1690 Rechtsextremisten in Niedersachsen aus, 80 mehr als noch im Vorjahr. Die Mitglieder der NPD-Nachfolgepartei „Die Heimat“ oder der Partei „Die Rechte“ spielten dabei allerdings eine immer geringere Rolle. Im Umfeld der für weitere zwei Jahre als Verdachtsobjekt eingestuften AfD verortet der Verfassungsschutz rund 600 Personen im rechtsextremen Lager. Dazu zählten auch die früheren Mitglieder des inzwischen aufgelösten „Flügels“ sowie Mitglieder der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“.
Auf Nachfrage sagte Verfassungsschutz-Präsident Dirk Pejril, mehr als zehn Prozent der AfD-Mitglieder seien als rechtsextrem einzustufen. Man stelle zudem fest, dass die extremistischen Kräfte in der Bundes-AfD ihre Stellung weiter ausbauen konnten. Im niedersächsischen Landesverband fehle eine klare Abgrenzung zu rechtsextremen Gruppen, wie etwa der „Identitären Bewegung“ oder dem „Institut für Staatspolitik“ von Götz Kubitschek. „Eine Abgrenzung von radikalen Kräften kann nicht festgestellt werden“, sagte Pejril, räumte aber zugleich ein: „Nicht jedes AfD-Mitglied verfolgt verfassungsfeindliche Ziele.“
Sorgen bereitet den Verfassungsschützern ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Rechtsextremen und Reichsbürgern oder Selbstversorgern, wobei Verschwörungsideologien eine Art Scharnierfunktion einnehmen würden. Im Gegensatz zu anderen extremistischen Lagern gehe die Gefahr bei rechtsextremen Gruppierungen davon aus, dass diese gezielt versuchten, den Staat zu unterwandern. Pejril hob die Gefährdung hervor, die von der Reuß-Gruppe ausgegangen sei, der immerhin zahlreiche frühere oder aktive Angehörige von Bundeswehr und Polizei zuzurechnen seien.
Im linksextremen Lager seien vermehrt Fälle von Sachbeschädigung oder auch tätlichen Übergriffen auf vermeintliche Rechtsextreme festzustellen, so Verfassungsschutz-Präsident Pejril. Die Schwelle zur Gewalt sei bei den rund 1250 Linksextremisten in Niedersachsen gering. Zu beobachten seien Versuche, eine Anschlussfähigkeit an andere Gruppen herzustellen. Feststellen konnte man das bei der „Interventionistischen Linken“, die sich stark innerhalb der Klimaschutzgruppe „Ende Gelände“ engagiere.
Ein weiterer Anknüpfungspunkt sei die Gentrifizierung, also die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten zugunsten teurer Sanierungsmaßnahmen in ganzen Stadtteilen. „Bleibt der Wohnungsmarkt so angespannt wie die letzten Jahre, muss weiterhin mit Hausbesetzungen und Angriffen auf Bauunternehmer gerechnet werden“, warnte Pejril.
Der Verfassungsschutz zählt in Niedersachsen rund 700 Salafisten und 710 anderweitige Islamisten. Die Zahlen sind leicht rückläufig im Vergleich zum Vorjahresbericht. Pejril warnte jedoch davor, diesen Rückgang als Entwarnung zu verstehen. Festzustellen sei, dass antisemitische Narrative in der islamistischen Szene immer häufiger vorkommen, insbesondere nach dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023. Dieser sei flankiert worden von einer gezielten Desinformationskampagne.
Von der Terrormiliz Hamas gebe es zudem keine Abgrenzung, stattdessen finde eine Glorifizierung statt. Beobachtet werde auch eine Verjüngung der Islamisten-Szene, befördert durch islamistische Influencer. Die Bedrohungslage durch Islamisten sei „weiterhin hoch“ und Ereignisse wie die Fußball-Europameisterschaft bevorzugte Ziele. Konkrete Anschlagspläne seien aber nicht bekannt.
Im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine stellt der Verfassungsschutz eine „besorgniserregende Renaissance der klassischen Spionage“ fest. Aber auch mittels Desinformation oder Cyberattacken versuche Russland, einen hybriden Krieg gegen Deutschland zu führen. Cyberangriffe aus Russland gebe es täglich, in zehn Fällen habe man aber konkret den russischen Staat als Angreifer feststellen können. Ziel seien Unternehmen aber auch Forschungseinrichtungen, berichtete Pejril auf Nachfrage. Neben Russland spionierten auch der Iran und die Türkei in auffälligem Maße in Niedersachsen, beide mit dem Ziel, vermeintliche Gegner ihrer Regierungen aufzuspüren. Auch China habe seine Spionage-Aktivitäten weiter ausgebaut.