Wird der öffentliche Dienst in Niedersachsen zum Vorreiter bei der Digitalisierung, genauer der Umstellung der Arbeitsplätze auf moderne Computertechniken? Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) sieht das so. „Ich gehe voller Optimismus und Zuversicht an dieses Thema“, sagte er gestern zu Beginn einer Fachkonferenz der Gewerkschaft Verdi. Der Verdi-Landesleiter für Niedersachsen und Bremen, Detlef Ahting, pocht auf eine frühzeitige Mitbestimmung der Arbeitnehmervertreter. Es müssten elementare Fragen geklärt werden. „Wenn Digitalisierung zum Beispiel heißt, dass künftig rund ein Fünftel der Mitarbeiter in Behörden von zuhause aus ihren Dienst verrichtet, dann muss uns auch daran gelegen sein, die Arbeitsbedingungen klar zu definieren.“ So hält es Ahting für unverzichtbar, dass auch die Gewerbeaufsicht die Arbeitsplätze in den Wohnungen der Kollegen überprüft – und damit der wichtigen Frage nachgeht, was die Arbeitgeber getan haben, um annehmbare Arbeitsbedingungen zu schaffen. „Vom Küchentisch aus die Büroarbeit zu leisten, darf nicht der Standard werden“, sagt Ahting.

 

Anja Kramer vom Verdi-Bildungswerk hat gemeinsam mit dem NDR und der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover Thesen entwickelt, welche Folgen eine zunehmende Digitalisierung auf die Arbeitswelt haben kann. Eine Untersuchung, die jetzt skizzenhaft vorliegt, wurde vor einem Jahr vom niedersächsischen Wirtschaftsministerium in Auftrag gegeben. Wie Kramer erläutert, werde von vielen Home-Office-Kollegen berichtet, dass sie daheim weitaus mehr leisteten als im Büro – womöglich auch aus dem Zwang heraus zu meinen, sich für Heimarbeit rechtfertigen zu müssen. Auch die gegenteilige Einschätzung ist zu hören, dass nämlich Home-Office für manche ein erster Schritt sein kann, sich aus dem Arbeitsalltag immer stärker zurückzuziehen. Beim NDR sei ein Trend erkennbar, nach längerer Zeit von Home-Office wieder ins Büro zurückzukehren – vor allem dann, wenn man das Ziel verfolge, im Unternehmen noch vorankommen zu wollen. Die Vorzüge der Arbeit im Büro seien nachvollziehbar, sagt Kramer: Man erhalte leichter eine Einschätzung zur eigenen Arbeit, könne rascher auf geänderte Anforderungen reagieren, erfahre mehr Wertschätzung und könne die Arbeitsinhalte auch stärker beeinflussen und prägen.

 

Wirtschaftsminister Lies hält „Modellprojekte“ für eine weitgehende Umstellung der Landes- und Kommunalverwaltung auf die neuen digitalen Methoden für sinnvoll. Ahting sagt, dies solle immer begleitet sein von der Einflussnahme der Arbeitnehmervertretungen, von Betriebs- und Personalräten. „Mitbestimmt, tarifgesichert und mit guter Altersabsicherung“ müsse die Arbeitswelt für die Zukunft fit gemacht werden. Auch eine Rahmenvereinbarung mit der neuen Landesregierung kann sich der Verdi-Landesleiter vorstellen. Ahting sieht Notwendigkeiten etwa beim Datenschutz. Was muss gesichert sein, damit Mitarbeiter zuhause mit sensiblen Daten von Bürgern oder Unternehmen verantwortungsvoll umgehen können? Und wie weit darf der Anspruch des Arbeitgebers gehen, den Mitarbeiter bei der Heimarbeit überwachen oder kontrollieren zu wollen? Wichtig sei auch die Qualifizierung. Wenn bei einigen Versicherungen oder Banken, auch der Nord/LB, bei zu ein Drittel der Sachbearbeiterstellen wegfallen werde, wie schafft man dann die Umschulung dieser Leute für neue, zukunftsgerichtete Tätigkeiten?

 

Lies meint, die Veränderungen würden vermutlich rascher eintreten als vermutet – aber man solle aufhören, die Vorgänge zu dramatisieren. Die Digitalisierung sei hilfreich, wenn wegen des demographischen Wandels für viele Aufgaben die Fachkräfte zunehmend nicht mehr zu finden seien. Der Verdi-Landesleiter hält es für wichtig, die Frage der dauernden Erreichbarkeit, die sich ebenfalls mit den neuen Möglichkeiten der digitalen Verwaltung noch drastischer stelle als bisher schon, eindeutig zu klären. „Wichtig ist, dass Mitarbeiter eben auch mal nicht erreichbar sein müssen, denn die ständige Aufmerksamkeit ist ein großer Stressfaktor.“ In der Untersuchung des Verdi-Bildungswerkes beim NDR und bei der Rentenversicherung wurde auch ein anderes Problem festgestellt: Es gebe Beschäftigte im Home-Office, die meinten, der Vorgesetzte erwarte von ihnen die dauernde Erreichbarkeit – dabei sei das in Wirklichkeit gar nicht so, das Gefühl sei nur eine Einbildung.