Unternehmen wollen gern digitalisieren, aber sie fragen sich, wie es gehen soll
Die Zahlen können ein wenig Sorgen bereiten: 85 Prozent der kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Schweiz sind digitale Dinosaurier. So lautete das Ergebnis einer Züricher Wirtschaftshochschule im vergangenen Jahr. Und in Niedersachsen? 78 Prozent der Unternehmen schätzen ihren digitalen Reifegrad irgendwo zwischen gering und mittel ein. Das ergab eine Umfrage des Verbands Niedersachsenmetall. „Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir im Mittelstand nicht das Know-How verlieren und in Rückstand geraten“, warnte Hauptgeschäftsführer Volker Schmidt am Mittwoch in Hannover auf der Auftaktveranstaltung einer neuen Serviceagentur des Verbands, die Unternehmen bei der digitalen Transformation unterstützen soll.
Das Gros der Betriebe haben seinen Sitz in der Fläche, mahnte Schmidt. „Wir sprechen vom Rückgrat der Industrie. Wenn diese Unternehmen in Rückstand geraten, haben wir in Niedersachsen ein großes Problem.“ Für die Digitalisierung sieht Schmidt eine große Aufgeschlossenheit bei den Unternehmen, es hapere aber in der Umsetzung. Vielleicht sei das auch eine Erklärung für die Investitionsschwäche. Viele Unternehmen hielten sich bei Investitionen zurück, weil ihnen das Thema Industrie 4.0 noch zu vage erscheine. „Bei vielen steht die Frage im Raum: wann, in welchem Umfang und mit welcher Zielsetzung soll ich investieren?“
„Viele denken, dass die Digitalisierung einfach so passiert. Das stimmt aber nicht, sie wird von Menschen gemacht“, sagte der Digitalisierungsexperte Jens-Uwe Meyer auf der Veranstaltung und ermunterte die Unternehmen dazu, mutig voranzuschreiten und auch Fehler zuzulassen. „Sie wissen heute nicht mehr von Anfang an, ob Geschäftsmodelle funktionieren und trotzdem müssen sie handeln. Das ist eben das unternehmerische Risiko.“ Dabei dürfe man nicht sofort auf das genaue Ergebnis nach einem Jahr schauen und auch damit rechnen, dass Kunden Fehler in den neuen digitalen Systemen der Unternehmen finden und melden werden.
„Sie brauchen einen gewissen Teil an Experimentierwillen und müssen sich damit abfinden, auch mal zu scheitern. Und sie werden scheitern“, warnte Meyer. Wichtig sei allerdings, schnell und preiswert zu scheitern. Man müsse schnell im Kleinen anfangen. Bei manchen Unternehmen würden aus der Digitalisierung dagegen „Monsterprojekte“, sagt Meyer, und beschreibt 18-monatige Entscheidungsphasen, in denen zu Beginn erst kein passender Termin der Projektgruppe gefunden wird und am Ende kurz vor den Jahresergebnisse sicherheitshalber keine Innovationen mehr zugelassen werden.
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Das werde aber so nicht funktionieren. „Der Fortschritt kommt und er ist technologiegetrieben“, erklärt der Autor mehrere Fachbücher zum Thema Digitalisierung. Früher habe es erst das Kundenbedürfnis und dann die Lösungen gegeben. Heute entstünden Innovationen schlicht und einfach, weil etwas entstehe, was es vorher noch nicht gab. Die Technologien dafür seien alle bereits vorhanden, es gelte in den nächsten zehn Jahren jetzt lediglich, Anwendungsfälle dafür zu finden. „Es geht nicht mehr um die Frage, ob das alles wirklich kommen wird, sondern wie Unternehmen davon profitieren können.“
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Meyer spricht von einer digitalen Evolution und ist sicher, dass die Kunden die datengetriebenen Geschäftsmodelle auch nachfragen werden. „In zehn Jahren werden Sie einem Algorithmus mehr vertrauen als einem Arzt“, prognostiziert er. Man bringe den ausgewerteten Datensatz aus der Smartwatch mit in die Praxis und könne die eigene These zum Gesundheitszustand dadurch auch noch mit Daten unterlegen. „Das klingt zwar etwas gespenstisch. Aber vor zehn Jahren konnte sich auch noch niemand vorstellen, in welcher Weise wir heute unsere Smartphones nutzen.“