Über den Unterschied zwischen Wirtschaft und Politik
Zwischen dem Indikativ und dem Konjunktiv liegen an diesem Dienstagvormittag rund 80 Kilometer: Während der Landtag darüber diskutiert, was bei Volkswagen eigentlich passieren müsste, stellt VW-Markenchef Herbert Diess in Wolfsburg die konkreten Pläne des Autobauers vor. Und während Diess den Satz „Arroganz gehört der Vergangenheit an“ sagt, diskutieren die Abgeordneten über das vielkritisierte Interview des VW-Konzernchefs Matthias Müller vom Sonntag und die Bonizahlungen der Volkswagen-Manager.
„Wenn alles auf den Prüfstand gestellt wird, dann gilt das auch für alle Teile des Unternehmens, etwa für die künftige Vorstandsvergütung.“ Das ist alles, was Ministerpräsident Stephan Weil zu diesem Thema in seiner Regierungserklärung sagt. Andere werden deutlicher. „Ich hätte mir auch seitens des Vorstands ein Signal des Verzichts gewünscht“, kritisiert CDU-Fraktionschef Björn Thümler. „Wer einen sozialverträglichen Stellenabbau vereinbart, der darf eben nicht vor den Boni in der Vorstandsetage halt machen.“ Thümler zufolge wäre mit einem Verzicht auch die Akzeptanz für den Zukunftspakt in der VW-Belegschaft größer.
FDP-Fraktionsvize Jörg Bode forderte, dass bereits gezahlte Boni zurückgezahlt werden müssten. Schließlich gehe es um Prämien, die für Betrug gezahlt worden seien. So einer Rückzahlungsforderung verweigere sich aber die Landesregierung. „Dabei macht es die Deutsche Bank vor. Dort kann man von ehemaligen Vorständen nach einem Fehlverhalten auch Boni zurückfordern“, erklärt Bode und er geht noch weiter: „Wenn man den Kunden zuerst betrügt und den Kunden danach beschimpft, dann muss man nicht 5.000 Leiharbeiter feuern, sondern den Vorstand in die Wüste schicken.“ Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Anja Piel ärgert sich derweil darüber, dass trotz des Stellenabbaus noch immer eine „ungebrochene Boni-Mentalität“ in Wolfsburg herrsche. „Wie klug wäre es gewesen, zusammen mit dem Zukunftspakt eine neue Systematik für solche Zahlungen für die Zukunft vorzulegen“, so Piel.
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Scharfe Kritik gibt es im Landtag auch an VW-Chef Mattias Müller. Dieser hatte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung unter anderem zum Thema Elektromobilität gesagt: „Auf der einen Seite denken und handeln viele Deutsche im Alltag grün, wenn es aber um E-Mobilität geht, haben wir als Verbraucher spitze Finger. So ganz habe ich dieses paradoxe Phänomen noch nicht verstanden.“ Kopfschütteln lösen Müllers Zitate bei SPD-Fraktionschefin Johanne Modder aus: „Um es freundlich auszudrücken: In der Kommunikationsstrategie bei Volkswagen ist noch viel Luft nach oben.“ Grünen-Fraktionschefin Anja Piel spricht von einer Frechheit. Ihr Rat an Volkswagen: „Baut vernünftige Autos zu bezahlbaren Preisen! Dann verkauft Ihr die auch!“ Für Björn Thümler zeigt Müllers Interview, wie blank die Nerven liegen. Die Beschimpfung von Kunden bezeichnet der CDU-Fraktionschef als „ganz schlimme Entgleisung“.
Trotz aller Kritik sieht Ministerpräsident Stephan Weil den „größten Umbauprozess in der Unternehmensgeschichte“ als zwingend notwendig an. „Was würde sonst in zehn oder 15 Jahren passieren, wenn wir jetzt nicht die Entscheidungen treffen?“ fragt Weil im Landtag. Der Verlust von Industriearbeitsplätzen in diesem Ausmaß sei dabei eine bittere Pille. Zugleich werde es neue Arbeitsplätze geben. „Im Saldo sprechen wir über einen Abbau von 10.000 Jobs, das entspricht etwas weniger als zehn Prozent des Status quo.“
Während der Landtag bereits bekannte Zahlen diskutiert und darüber spricht, was gemacht werden sollte, wird im Hochhaus am VW-Werk vorgestellt, was gemacht wird. Der Unterschied zwischen Indikativ und Konjunktiv ist oftmals auch der Unterschied zwischen Wirtschaft und Politik. VW-Markenchef Herbert Diess stellt die Strategie „Transform 2025+“ vor. Dabei stellt man überrascht fest, dass Demut in Wolfsburg eher Mangelware ist. Denn obwohl Elektroautos bisher keine besondere Stärke des Wolfsburger Autobauers sind, will Volkswagen ab 2025 „Weltmarktführer bei der E-Mobilität“ werden – so kündigt es Diess an. Vorher müsse man aber noch das Kerngeschäft sanieren, um profitabler zu werden. Ziel sei eine Umsatzrendite von vier Prozent – das wären fast zweieinhalb Prozentpunkte mehr als jetzt.
Besonders viel Geld verdient man im Autogeschäft allerdings mit den sogenannten SUVs – den Geländewagen für den Boulevard. Die Zahl der SUV-Modell will Volkswagen mehr als verdoppeln. Wie die Grünen-Fraktionsvorsitzende Anja Piel wohl gestern reagiert hat, als sie davon erfuhr? „Der Verbrennungsmotor ist noch kein zu schützendes Unseco-Weltkulturerbe“, hatte sie in der Landtagsdebatte betont und noch einmal auf das Ziel der Grünen hingewiesen, ab 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr zuzulassen. Zu dem Zeitpunkt dürfte die Politikerin der Regierungskoalition von den SUV-Plänen in Wolfsburg noch nichts gewusst haben. (MB.)