Trotz alledem: Danke, Sigmar Gabriel!
Darum geht es: Der Bundesaußenminister hat sich gestern aus der aktiven Bundespolitik verabschiedet. Ob er aufs Altenteil geht? Das ist unvorstellbar. Aber aus der ersten Reihe der deutschen Politik wird er verschwinden. Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Mit seiner Art vielen auf die Nerven gegangen
Es braucht sie beide in der Politik: diejenigen, die ruhig, gewissenhaft und unauffällig ihre Vorhaben abarbeiten, unspektakulär und planmäßig – und diejenigen, die immer wieder neue Debatten anstoßen, ausgetretene Pfade verlassen und neue Wege suchen. Sigmar Gabriel gehört zu der zweiten Sorte. Er ist mit seiner Art vielen Leuten extrem auf die Nerven gegangen, vor allem vielen Genossen in seiner SPD. Dass er viele von ihnen für politische Leichtgewichte hielt, hat er nie verbergen können und wollen. Sie haben es ihm nachhaltig verübelt und den Moment seiner eigenen Schwäche gnadenlos ausgenutzt, ihm den Stuhl vor die Tür zu setzen.
Gegenwärtige Führungsriege dürfte Übergangsmannschaft sein
Jetzt beginnt also die Nach-Gabriel-Zeit. Ob Andrea Nahles mit ihrer zuweilen pampigen Ausdrucksweise und Olaf Scholz mit seiner starken Blässe und fehlenden Rhetorik die besseren Repräsentanten der SPD sein werden, darf man gegenwärtig wohl bezweifeln. Die Hoffnungen werden vermutlich eher auf anderen ruhen, vielleicht auf den neuen Bundesministern der SPD, vielleicht auf einigen Verantwortungsträgern in den Ländern. Wenn die vielbeschworene Erneuerung der SPD ein ernst gemeintes Projekt ist, dann dürfte die gegenwärtige Führungsriege wohl eine Übergangsmannschaft sein, von der man nicht weiß, wie viele von ihnen noch in vier Jahren herausgehobene Positionen haben werden. Für die Union gilt das im Übrigen auch. Das ist der Preis für die Volksparteien in den gegenwärtigen unruhigen Zeiten.
Gabriel war autoritär gestrickt
Trotzdem ist der Abgang von Sigmar Gabriel ein Einschnitt in der SPD, ein Augenblick, der zum Nachdenken Anlass geben sollte. Ja, dieser Mann hatte in seiner Zeit als Landespolitiker in Hannover schon große Schwächen gezeigt, die später eher ausgeprägter als kleiner wurden. Er war nie ein Teamarbeiter und fand nichts dabei, die von ihm selbst ausgewählten Zuständigen zu düpieren, indem er sich persönlich – und unangekündigt – in deren Kompetenzen einmischte. Insofern war Gabriel autoritär gestrickt, ich-bezogen und jemand, der keinen Widerspruch duldete. Wer mit ihm klarkommen wollte, musste ihm ebenso hart und unerbittlich begegnen, also auf Augenhöhe. Aber wie tut man das gegenüber einem Ministerpräsidenten, einem Parteichef? Wer sich unterordnete und seinen unmöglichen Stil still hinnahm, wurde von ihm nicht mehr ernst genommen. Die meisten in seinem Umfeld schwiegen und litten. Wahr ist auch, dass er seine Ansichten manchmal rasch wechselte und damit eine große innere Unrast und auch Unsicherheit im eigenen Urteil verriet. Das vergrößerte die Distanz zwischen ihm und seinen Leuten.
Er wollte die Partei aufrütteln
Aber vielleicht war das nur die Schattenseite seines übergroßen politischen Instinkts und seines ausgeprägten Gespürs: Gabriel hat früher als viele andere gesellschaftliche Strömungen und Probleme wahrgenommen, ihm waren die Widersprüche der SPD-internen Diskussionen zu den Diskussionen der Leute auf der Straße früh bewusst – und er wollte die Partei aufrütteln, wachrütteln. Wenn er den Genossen ins Gewissen redete, wie jüngst vor zwei Wochen in seinem eigenen Unterbezirk in Goslar, dann war das für die Zuhörer nie angenehm. Für Schmeicheleien verschwendete er die Zeit nicht, er sprach Klartext. Oft war es verbunden mit einem Feuerwerk der Redekunst. Vermutlich braucht die SPD das aber auch. Wer wird es künftig tun? Wer setzt sich in eine Diskussionsrunde, in der Pegida-Anhänger mit Pegida-Gegnern sprechen, weil er die Argumente der Leute hören und darauf reagieren will? Ob ein Heiko Maas, eine Andrea Nahles und ein Olaf Scholz die Kraft aufbringen, Grenzen zu überschreiten und bittere Kritik aus der eigenen Partei daran auch auszuhalten? Vermutlich eher nicht, vielleicht sehen sie nicht mal die Notwendigkeit dazu.
Ein Talent wie ihn nicht einfach ziehen lassen
Vor ziemlich genau 15 Jahren hatte Gabriel schon einmal einen tiefen Absturz, damals ist er als Ministerpräsident bei der Landtagswahl abgewählt worden. Seinerzeit riet ihm ein enger Vertrauter, Wolfgang Senff aus Hann. Münden, er solle weitermachen mit der Politik. Einer wie Gabriel gehe zugrunde, wenn er zuhause sitzen und Däumchen drehen soll, meinte Senff damals. Inzwischen ist der Sozialdemokrat lange im Ruhestand, gestern äußerte er sich auf Anfrage des Rundblick zum erneuten Sturz seines Freundes Gabriel: „Jedem würde ich erst einmal raten, ihn in Ruhe zu lassen, denn er hat gerade sein Ende als Außenminister akzeptiert. Der SPD aber möchte ich dringend raten, ein Talent wie ihn nicht einfach ziehen zu lassen. Gabriel ist und bleibt nämlich eines der großen Talente in unserer Partei.“