Thümler im Podcast: „Wir müssen die Ukraine sichtbar machen“
Der russische Überfall auf die Ukraine hat auch das Wissenschaftssystem erschüttert. Der Austausch der Forscher zwischen Niedersachsen hier, Russland und der Ukraine dort ist schwierig geworden. Welche Strategie verfolgt der Westen angesichts dieser Lage? Im Podcast mit Niklas Kleinwächter erläutert Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) die Situation. Er fordert dazu auf, mit Augenmaß vorzugehen. Podcast anhören: Soundcloud | Spotify | Apple-Podcast
Rundblick: Herr Thümler, wie stark ist unsere Hochschul- und Forschungslandschaft in Niedersachsen mit der russischen vernetzt?
Thümler: Es ist das Wesen der Wissenschaft, dass sie nicht auf Nationalstaaten ausgerichtet ist – sondern von globalen Verflechtungen lebt. Forschungsprojekte sind meistens sehr langfristig angelegt. Die Wissenschaftswelt ist eng miteinander verwoben und verwachsen, das gilt auch für uns in Niedersachsen. Kurz nach Beginn des Krieges habe ich mich in einem Schreiben an unsere Forschungseinrichtungen und Hochschulen gewandt und darum gebeten, aktive Kooperationen mit russischen Einrichtungen einzufrieren und keine neuen Kooperationen zu beginnen. Der Brief wurde sehr positiv aufgenommen.
Rundblick: Wie steht es um die vielen Austauschprogramme für Studenten?
Thümler: Teilweise sind die Studierenden aus Russland noch hier. Von den ukrainischen Studierenden haben einige ihre Rückreise in die Heimat angetreten, weil sie ihr Vaterland verteidigen wollen. Das kann ich gut verstehen. Unsere Aufgabe ist, sie alle in vielen Fragen zu unterstützen. Und was die russischen Studierenden betrifft: Wir grenzen sie nicht aus, sondern beziehen sie ein. Viele von ihnen lehnen den von Putin entfesselten völkerrechtswidrigen Krieg vehement ab.
Rundblick: Was ist mit den deutschen Studenten in Russland?
Thümler: Der Deutsche Akademische Auslandsdienst hat sie aufgefordert, das Land aus Gründen ihrer eigenen Sicherheit zu verlassen. Viele wollen das aber nicht, viele bleiben in Russland – und einige beteiligen sich auch an Protesten gegen den Krieg. Sie meinen, dass Putins Kritiker in Russland Hilfe brauchen. Ich habe von einem Studierenden gehört, der Zettel mit der Aufschrift „Stoppt den Krieg“ an einem Denkmal befestigt hat.
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Rundblick: Gibt es noch einen Wissenschaftsaustausch mit der Ukraine?
Thümler: Die Tierärztliche Hochschule in Hannover hatte bis vor einigen Tagen Kontakt mit einer Professorin aus Charkiw. Es war geplant, dass sie nach Hannover wechselt – daraus ist dann wegen des Krieges nichts geworden, auch sie will ihre Heimat verteidigen. Die Universität Braunschweig hat erst vor wenigen Tagen eine Vereinbarung mit der Uni in Charkiw getroffen. Wichtig ist auch die Kultur, es gibt Gespräche zwischen den Museen und die Vereinbarung, verstärkt ukrainische Kunstwerke in deutschen Museen zu zeigen. Damit machen wir deutlich, wie reichhaltig die Kultur dieses Landes ist, das Putin auslöschen will.
Rundblick: Am 11. März haben die Wissenschaftsminister der Länder in der Lübecker Erklärung beschlossen, dass als Zeichen der Solidarität eine „Wissenschaftsbrücke“ zwischen der Ukraine und Deutschland aufgebaut werden soll. Wie weit sind die Bauarbeiten?
Thümler: Die Länder sind sich einig, dass hier die Bundesregierung in Vorleistung treten muss. Die Bauarbeiten dauern noch an. Die Männer, die in der Wissenschaft in der Ukraine tätig sind, können nun mal nicht ausreisen. Trotzdem bieten wir ihnen und auch den Frauen, die zu uns kommen, viele Möglichkeiten an, ihre Arbeit hier fortzusetzen – damit sie dann später, wenn der Krieg vorüber ist, zurückkehren und nahtlos an ihre Vorarbeiten anknüpfen können.
Rundblick: Wenn wir die russische Seite betrachten: Geschieht dort eine Abgrenzung?
Thümler: Alle Hochschulen in Niedersachsen haben sich entschieden, die Forschungskooperation mit Russland auf Eis zu legen, sie ruhend zu stellen. Das gilt nach meiner Kenntnis für alle Projekte, bis auf eines bei der MHH, bei dem es um Medikamentenforschung geht. Dieses lassen wir weiterlaufen, denn ein Stopp würde Menschenleben gefährden. Einige deutsche Hochschullehrende haben auch Ehrendoktortitel, die sie von russischen Universitäten erhalten hatten, zurückgegeben. Die Technische Uni-Bibliothek in Hannover hat ihren Kooperationsvertrag mit Russland sofort gekündigt – und dies mit einem massiven Protest gegen den Krieg verknüpft. Wir haben gleichzeitig aber immer auch gesagt: Es gibt keinen Grund, private Kontakte zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu beenden. Diese Gesprächsgrundlage sollte erhalten bleiben.
Rundblick: Es gibt das Konzept „Science diplomacy“, also Wissenschaftsdiplomatie. Kann die Forschung Wege für eine Wiederannäherung der Konfliktparteien ebnen?
Thümler: Das ist sicher so. Wenn es um Konflikte mit dem Iran ging, oder solche in Südostasien, ist die Wissenschaft oft als Türöffner für Gespräche aktiv geworden – und das hat gute Ergebnisse zutage gefördert. Was Russland angeht, haben wir gegenwärtig diese Situation nicht. Das heißt aber nicht, dass es sie in Zukunft nicht geben kann.
Dieser Artikel erschien am 24.03.2022 in der Ausgabe #056.
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