Der geplante Tempo 30-Modellversuch auf Hauptverkehrsstraßen niedersächsischer Kommunen geht voraussichtlich im März in die konkrete Startphase. Dann soll sowohl die europaweite Ausschreibung für die Suche nach einem entsprechenden Institut als auch die Abfrage bei den Kommunen beginnen, wer Interesse an einer Teilnahme hat. Das ist aus Kreisen der Arbeitsgruppe im Wirtschaftsministerium zu hören, die den Versuch inhaltlich vorbereitet. Informationen des Rundblicks zufolge will sich das Land den Modellversuch, der über drei Jahre laufen soll, 700.000 Euro kosten lassen. Spätestens im Herbst sollen dann Kommunen für das Modellprojekt konkret ausgesucht werden.

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Aus den kommunalen Spitzenverbänden heißt es, in den Kommunen gebe es teilweise ein großes Interesse an einer Reduzierung auf Tempo 30. Es hätten sich auch schon mehrere Kommunen gemeldet, die gerne an dem Modellversuch teilnehmen würden. Die Städte und Gemeinden erhofften sich, dass es langfristig größere Möglichkeiten geben werde, auch auf Hauptverkehrsstraßen eine Temporeduzierung auf 30 km/h durchzusetzen. Das wünscht sich auch Susanne Menge, Verkehrsexpertin der Grünen im niedersächsischen Landtag. „Kann es denn noch ein Ziel in geschlossenen Ortschaften sein, wo viele Menschen an stark befahrenen Straßen leben, dass der Verkehr immer noch mit Tempo 50 schnell fließen muss? Das ist für mich nicht nachvollziehbar“, sagt Menge im Gespräch mit dem Rundblick und spricht von einer wenig weitsichtigen Verkehrspolitik. Man könne mit dem Modellprojekt möglicherweise auch darauf hinweisen, dass die Straßenverkehrsordnung dringend überarbeitet werden müsse. Dabei sei die Studie ein kleiner Baustein.

Eine Herausforderung ist der große Kriterienkatalog, der von der Messung von Luftschadstoffen über Verkehrslärm bis hin zur Verkehrssicherheit reicht. Inzwischen ist klar, dass nicht in allen Kommunen alles gemessen werden kann. Das würde viel zu teuer, heißt es auch aus den Kommunalverbänden. Menge rechnet damit, dass der Modellversuch am Ende in sechs bis neun Kommunen stattfinden wird. Es müssten dann jeweils zwei bis drei kleine, mittlere und große Städte dabei sein, um hier eine Vergleichbarkeit herzustellen. Auch die Messungen von Lärm oder Luftschadstoffen könnten aus Kostengründen aufgeteilt werden.

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Die Industrie- und Handelskammer in Niedersachsen (IHKN) sieht das Modellprojekt skeptisch. Der geplante Modellversuch dürfe nicht dazu führen, die Erreichbarkeit der beteiligten niedersächsischen Kommunen zu verschlechtern, sagte Hauptgeschäftsführerin Susanne Schmitt. „Dies würde die regionalen Unternehmen hart treffen, beispielsweise die Händlerschaft, die heute bereits in einem harten Wettbewerb mit dem zunehmenden Online-Handel stehen. Aber auch alle, die Tag für Tag die Hauptverkehrsstraßen nutzen, um ihre Kunden zu erreichen – vom Dienstleister über den produzierenden Gewerbebetrieb bis hin zu Taxi- und Transportunternehmen sind betroffen.“ Innenstädte und Ortszentren müssten für den motorisierten Individualverkehr aus dem ländlich geprägten Umland zugänglich bleiben, so die IHKN-Chefin.

Die Vorteile von Tempo 30 sind unter Experten nach wie vor umstritten. So sieht das Umweltbundesamt gute Gründe für Tempo 30 an weiteren Hauptverkehrsstraßen. Dies sei ein Gewinn für Verkehrssicherheit, Lärm- und Luftschadstoffminderung sowie bei den Aufenthaltsqualitäten, heißt es in einer Studie. Gleichzeitig werde die Auto-Mobilität nicht übermäßig eingeschränkt. Voraussetzung für eine Abnahme der Luftschadstoffbelastung sei aber, den Verkehrsfluss beizubehalten oder wenn möglich zu verbessern.

Eine Studie der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg fand dagegen im Jahr 2011 heraus, dass Tempo 30 nicht zwangsläufig die Luftqualität verbessert. Im Gegenteil: Es gebe einen „eindeutigen Trend zu steigenden Emissionen bei geringeren Geschwindigkeiten“, so die Forscher. Bei Tempo 30 sei der Schadstoffausstoß auf ebenen Strecken höher als bei Tempo 50. Die Studie kommt daher zu dem Ergebnis, dass eine Tempo-Reduktion an Hauptverkehrsstraßen voraussichtlich nicht zu einer besseren Luftqualität führt. Auch der ADAC sieht Tempo nicht als wirksame Maßnahme, um die Emissionen zu senken. „Tempo 30 führt weder zur Reduzierung der Stickoxide noch zur Einsparung von CO2-Emissionen. Im Gegenteil: Die Reduzierung der zulässigen Geschwindigkeit auf 30 km/h führte insgesamt sogar zu schlechteren Ergebnissen“, heißt es nach Abgasmessungen auf dem Rollenprüfstand.