TagesKolumne: Wer hat das Sagen?
Überall da, wo Menschen in größeren Organisationen wirken, stellt sich früher oder später die Frage: Wer hat hier eigentlich das Sagen, wer gibt die Richtung vor? In der Kommunalpolitik wie in vielen Verbänden kommt noch ein weiterer Aspekt dieses Themas hinzu, nämlich die Verteilung der Macht zwischen Ehrenamt und Hauptamt. Wer ist eigentlich das Gesicht des Vereins oder der Interessengruppe – der ehrenamtlich gewählte Vorstand oder der hauptamtliche Geschäftsführer, der viel tiefer in den Themen steckt, aber eben formell nur ein Angestellter ist und damit lediglich ausführendes Organ sein sollte?
In der heutigen Rundblick-Ausgabe hat Niklas Kleinwächter mit dem neuen niedersächsischen Vorstandsvorsitzenden des Sozialverbandes Deutschland, Dirk Swinke, gesprochen. Er ist jetzt auch der oberste Repräsentant des SoVD hier im Land, bisher war er nur der Geschäftsführer. Nur ausführendes Organ will der neue Vorsitzende nicht länger sein. Swinke ist voll des Lobes über diese Verbandsreform. Er stehe jetzt stärker in der Öffentlichkeit, könne aber schneller Position beziehen. Wenn bisher der ehrenamtliche Vorsitzende gefragt wurde, war vor einer Antwort oft eine Rückkopplung mit dem hauptamtlichen Apparat nötig. Das entfällt, wenn der Kopf dieses Apparates selbst der oberste Chef ist. Ist also das SoVD-Modell empfehlenswert für alle, ein durchweg richtiger Weg?
Vermutlich hängt es von den handelnden Akteuren ab. Das, was den SoVD bei seiner Reform bewegte, haben wir an verschiedenen Stellen in Ansätzen schon mal erlebt. Vor 28 Jahren wurde in Niedersachsen die „Zweigleisigkeit“ abgeschafft. Bis dahin war der Oberbürgermeister als oberster Repräsentant der erste Ansprechpartner, aber er war nur ehrenamtliches Mitglied des für fünf Jahre gewählten Rates, nicht Chef der Verwaltung. Der Oberstadtdirektor als eigentliches Macht- und Kompetenzzentrum war zur Zurückhaltung verpflichtet. Mit ähnlichen Argumenten wie denen, die Swinke jetzt anführt, hatte die sozialdemokratische Landesregierung das Modell 1996 abgeschafft, maßgeblicher Treiber der Reform war der damalige Innenminister Gerhard Glogowski. Heute blickt man sehr unterschiedlich auf die Ergebnisse. Die einen sagen, das Modell mit den starken Oberbürgermeistern, die auch Verwaltungschefs sind, habe sich bestens bewährt, Reibungsverluste gebe es nicht mehr. Die anderen entgegnen, das Ehrenamt werde geschwächt, die massive Dominanz des obersten Chefs dämpfe das Engagement derer, die neben ihrem Beruf in der Politik mitwirken und dafür auch Konzepte entwickeln wollen.
Man könnte es nun so sagen: Überall dort, wo die ehrenamtlichen Vorstände kompetent, motiviert und geschickt genug sind, können sie eine Bereicherung für eine Organisation sein – da sie Impulse von außerhalb in die Verbandsarbeit einspeisen können. So hat der Niedersächsische Städtetag (NST) weiterhin das Modell eines ehrenamtlichen Präsidenten und Vizepräsidenten, beide sind indes mit der Thematik bestens vertraut, da sie im Hauptamt jeweils Oberbürgermeister einer Großstadt sind. Beim Landkreistag ist das Modell ähnlich, während der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund (NSGB), der viele kleine Kommunen vertritt, den bisherigen Hauptgeschäftsführer vor einiger Zeit zum „Präsidenten“ hochstufte, also auch zum obersten Repräsentanten. Da war das Modell, das nun vom SoVD umgesetzt wurde, bereits verwirklicht worden. Bei allen klugen Argumenten für Strukturänderungen und vermeintliche Effektivitätssteigerung der Verbandsarbeit sollte man nicht vergessen, dass sehr oft hinter solchen theoretisch klangvollen Debatten zutiefst menschliche Bedürfnisse stecken – das Bestreben, wahrgenommen und von anderen nicht untergebuttert zu werden. Der Konflikt Hauptamt gegen Ehrenamt spielt da immer auch mit rein, und das Ehrenamt ist in den vergangenen Jahrzehnten nicht gerade als großer Gewinner aus solchen Reformen hervorgegangen.
Der Rundblick beschäftigt sich heute noch mit weiteren Themen:
- Forderungen von Verdi: Die MHH soll in einem Tarifvertrag Regeln für überbelastete Pflegekräfte abschließen, verlangt die Gewerkschaft Verdi – und hat ein Ultimatum gesetzt, das Mitte August abläuft. Dann drohen Streiks.
- Forderungen der GEW: Zum Schuljahresstart erklärt die Lehrergewerkschaft GEW, wie das Land auf die prekäre Unterrichtsversorgung reagieren sollte.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Start in die Endphase dieser Woche – gleich, ob Sie hauptamtlich oder ehrenamtlich arbeiten.
Klaus Wallbaum
Karrieren, Krisen & Kontroversen
Meilensteine der niedersächsischen Landespolitik
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