Am Abend der Landtagswahl, an dem der Kanzler die Reißleine zog, deutete vorher nichts auf die bevorstehende Dramatik hin. Es schien ganz so, als würden sich die Schlagzeilen der Zeitungen am nächsten Morgen ganz dem Wahlsieger CDU widmen. Jürgen Rüttgers hatte den Sozialdemokraten Peer Steinbrück bezwungen, das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen verlor nach 39 Jahren seine SPD-Vorherrschaft. Doch die Sensation des Abends wurde noch durch eine weitere, wichtigere, überholt: Kanzler Gerhard Schröder kündigte an, die vorzeitige Auflösung des Bundestags und Neuwahlen zu erreichen – über eine Vertrauensfrage. Dieser Weg schien Schröder unausweichlich, da sein rot-grünes Kabinett nun einer CDU-Dominanz im Bundesrat gegenübergestellt war.

Bundeskanzler Gerhard Schröder bei einer Wahlkampfkundgebung der SPD am Münchner Marienplatz rund eine Woche vor der Bundestagswahl 2005 | Foto: André Zahn via Wikimedia

Das Ende der Geschichte ist bekannt: Schröder schaffte mit der SPD nach einem leidenschaftlichen Wahlkampf eine Aufholjagd, verlor schließlich aber doch die Kanzlerschaft. Er hatte es versucht, hatte wie ein Löwe gekämpft und dann eben verloren. Die Ära Merkel begann. Das war 2005. Heute, 19 Jahre später, scheint die Lage des Nach-Nachfolgers von Schröder im Kanzleramt mindestens ebenso prekär zu sein. Aber nicht die Blockade im Bundesrat ist das Hauptproblem, sondern die mangelnde Verständigungsbereitschaft in der eigenen Regierung. Der eigentliche Unterschied zu 2005 ist aber dieser: Keiner käme auf die Idee zu vermuten, dass Olaf Scholz am Wahlabend die Reißleine gezogen und den Weg zu vorgezogenen Neuwahlen eröffnet hätte. Dabei spricht doch so viel dafür, dass sich die Politiker einen neuen Auftrag von den Wählern holen, wenn sie selber nicht mehr richtig weiter wissen. Aber Olaf Scholz ist eben kein Gerhard Schröder. Das wird immer mehr führenden Sozialdemokraten schmerzlich bewusst, besonders an Wochenenden wie dem vergangenen.

So feiert die AfD Erfolg um Erfolg, die Neugründung BSW beginnt sich zu etablieren – und die CDU versucht gute Miene zu machen angesichts der Tatsache, dass sie selbst die 30-Prozent-Marke nicht mehr zu überspringen imstande ist. Und die Ampel? Sie wurschtelt und streitet weiter, während die Signale der Zuversicht auf einen neuen politischen Schwung immer schwächer werden. Aus der SPD-Spitze hört man Aussagen, die man auch als erste leichte Distanzierung vom Kanzler interpretieren könnte. Wie lange soll das alles noch gut gehen?

Wie man es auch nimmt, eines ist klar: Wir haben inzwischen September, die ersten Blätter fallen von den Bäumen, es wird – langsam aber sicher – Herbst. Auch politisch. Die Zeit der Ampel-Regierung neigt sich dem Ende. Es wird kühler, rauer, einsamer. Gleich, ob es doch noch vorgezogene Neuwahlen gibt oder erst in gut einem Jahr die nächsten Bundestagswahlen stattfinden.

Die heutige Rundblick-Ausgabe, produziert gestern an einem wunderbaren Spätsommertag, atmet diese Stimmung:

  • Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag von Niedersachsen-Metall stellt fest: Niedersachsens Wirtschaft hat sich seit 2016 schlechter entwickelt als im Bundestrend. Dazu kommen noch neue, düstere Nachrichten von Volkswagen.
  • Der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) sieht gewaltige Lücken für die Finanzierung der Energiewende-Ziele, die verbindlich festgelegt sind. Nachbesserung sei nötig.
  • Die AfD liegt im Osten über 30 Prozent, in Thüringen auf Platz 1. Ist damit der Rechtsextremismus salonfähig geworden? Die Sorgen und Befürchtungen sind riesig.

Zum Abschied gilt der Ruf: Nur nicht unterkriegen lassen!

Klaus Wallbaum