Ist es wirklich erstrebenswert, in Niedersachsen Wirtschaftsminister zu sein? Bernd Althusmann von der CDU, der 2017 eine Koalition mit der SPD eingegangen war, sah es damals so. Beim ersten Zugriff auf ein Wunsch-Ministerium entschied sich Althusmann für Wirtschaft. Parteifreunde hatten ihm geraten, doch das Innenministerium zu nehmen – doch er wollte nicht. Das war vermutlich einer der glücklichsten Momente im Leben des Sozialdemokraten Boris Pistorius, der Innenminister bleiben wollte – und das dank Althusmann dann auch konnte. Wer weiß, ob Pistorius je Bundesverteidigungsminister geworden wäre, hätte er 2017 das geliebte Innenministerium aufgeben müssen.

Derzeit ist nun nicht mehr Althusmann Wirtschaftsminister, sondern der SPD-Mann Olaf Lies. Auch der, heißt es, wollte nach der Landtagswahl 2022 unbedingt dieses Amt haben – und er hat es bekommen. An sich ist das Dasein als Wirtschaftsminister ja auch wunderbar: Man steht im dauernden Kontakt zu den Unternehmen, zu Vorständen und Betriebsräten. Man tritt als Anwalt der Wirtschaft auf, fordert einen entschlossenen Abbau der Bürokratie, eine wirtschaftsfreundliche Bundespolitik im Interesse der Arbeitsplätze und Deregulierungen auf möglichst vielen Gebieten. Man kann viel fordern, andere müssen handeln. Gleichzeitig muss man als Wirtschaftsminister immer ansprechbar sein in Krisenfällen, Förderprogramme parat halten und in Notsituationen den Firmen schnell, verbindlich und nachhaltig helfen. Ein schöner Job – zumindest dann, wenn man selbst ein kommunikativer Mensch ist und es der Wirtschaft im Großen und Ganzen gut geht.

Solange es der Wirtschaft gut geht, ist der Job des Wirtschaftsministers erste Sahne: Bernd Althusmann (links) beim Bäckereibesuch. | Foto: MW/Henning Scheffen

Die Nachteile drohen dann, wenn man zu tief drin steckt. So möchte man kaum Wirtschafts- oder Finanzminister sein, wenn die eigene Landesbank ins Trudeln gerät. Sei’s drum – es hat 2019 mit der Rettung der Nord/LB ganz gut geklappt. Man möchte auch nicht Wirtschaftsminister sein, wenn man zuvor ein Unternehmen aus schierer Geldnot in Staatsbesitz nehmen musste. Bei der Meyer-Werft dürfte Olaf Lies in der nächsten Zeit mehr als einmal gefragt werden, ob die Werft denn unternehmerisch die richtigen Weichen stellt auf dem Markt der Kreuzfahrtschiffe. Bei aller Sympathie für Lies: Dieser unternehmerischen Verantwortung für ein solches Unternehmen, die er jetzt de facto bekommt, kann der Wirtschaftsminister gar nicht gerecht werden, dafür fehlt ihm schlicht die Kompetenz. Somit ist zu hoffen, dass Land und Bund mit ihrer neuen Mehrheitsbeteiligung einen klugen und erfahrenen Manager berufen, der umsichtig und weitsichtig das Unternehmen in sichere Bahnen lenkt. Und man muss hoffen, dass die künftige Unternehmensführung die Verbindungen zur erfolgreichen Vergangenheit der Meyer-Werft nicht einfach abbricht. Klappt das nicht und passieren krasse Fehler, so haftet am Ende die Landesregierung – und in diesem Fall wohl vor allem Olaf Lies.

Damit sind wir bei VW, das in guten Zeiten die jeweiligen niedersächsischen Ministerpräsidenten in ihrer Rolle als VW-Aufsichtsratsmitglied glänzen lassen konnte. Gerhard Schröder gelang das, da die Vier-Tage-Woche 1993 eine einvernehmliche Antwort von Geschäftsleitung und Betriebsrat auf die damaligen Probleme des Konzerns war. Das gekonnte Agieren, auch im engen Kontakt mit dem Arbeitsdirektor Peter Hartz, brachte Schröder später dann den Beinamen „Autokanzler“ ein, Böswillige nannten ihn „Genosse der Bosse“. Viel von Schröders zeitweiligem Ruhm hängt an dieser VW-Geschichte. Und Christian Wulff gelang mehr als zehn Jahre später der Coup, im engen Kontakt mit Ferdinand Piëch die geplante VW-Übernahme durch Porsche in eine Porsche-Übernahme durch VW zu verwandeln. Danach, heißt es, habe Wulff vor Kraft kaum noch gehen können – was ihm einige Zeit danach auch nicht gut bekommen ist. In der Politik überleben Super-Stars nicht sehr lange.

Natürlich haben auch Stephan Weil als Mitglied des VW-Aufsichtsratspräsidiums und Olaf Lies als Wirtschaftsminister die Chance, mit klugem Taktieren als große Helden aus der aktuellen VW-Krise hervorzugehen. Doch was ist, wenn die Tatsache, dass Volkswagen zu viele Mitarbeiter für zu wenig nachgefragte Autos in deutschen Werken hat, einfach zu erdrückend ist für einfache Lösungen wie Kurzarbeit oder großzügige Modelle des vorgezogenen Ruhestands? Dann könnte sich die Verantwortung des Miteigentümers von VW, in der sich das Land Niedersachsen seit Jahrzehnten befindet, plötzlich zur schweren Last entwickeln. Dann wünschte sich jeder Wirtschaftsminister, er hätte diese Bürde lieber nicht gehabt.

In Krisenzeiten bekommt man als Ministerpräsident, Bundeskanzler oder Wirtschaftsminister schnell mal einen auf den Deckel. Deswegen gilt Helmpflicht beim Besuch von in Schieflage geratenen Unternehmen wie der Meyer-Werft. | Foto: MW

Christian Wilhelm Link analysiert in der heutigen Ausgabe die Situation in den niedersächsischen VW-Werken. Außerdem werfen wir einen Blick zu den Landratswahlen in Diepholz, deren erster Durchgang am Sonntag mit einer peinlich niedrigen Wahlbeteiligung endete. Und wir schauen kritisch auf die Impfmüdigkeit der niedersächsischen Bevölkerung.

Noch mal zum Posten des Wirtschaftsministers: Olaf Lies will übrigens gar nicht auf Dauer dieses Amt ausüben, er ist schon lange im Gespräch als möglicher neuer Ministerpräsident. Ob er dazu eine Chance hat, hängt nicht zuletzt auch von der Entwicklung bei Volkswagen und bei der Meyer-Werft ab. Diese Wochen und Monate sind enorm wichtig für das niedersächsische Spitzenpersonal in der Politik.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Dienstag,

Klaus Wallbaum