Es gibt Tage, da glaubt man, alles Aktuelle irgendwann schon einmal erlebt zu haben: die Wortwahl im Streit zwischen Regierung und Opposition, die Ausreden für Versäumnisse („Wir hatten kein Geld“, „Das musste damals ganz eilig geregelt werden“) und die Lobeshymnen derer, die das Image der Angeschlagenen aufbessern wollen („Olaf Scholz ist der beste Bundeskanzler, den wir je gehabt haben“, sagte kürzlich Karl Lauterbach). Das alles kehrt, nur stets mit neuen Akteuren und Rollen, immer wieder zurück. Was erklärte der CDU-Politiker Rainer Barzel im Herbst 1966, etwas weniger euphorisch als in diesem Herbst Lauterbach: „Ludwig Erhard ist und bleibt Bundeskanzler.“ Zu jenem Zeitpunkt war Erhards Rücktritt schon besiegelt.

Übrigens gilt diese Wiederkehr-These auch für Themen. Jürgen Trittin, das Grünen-Urgestein aus Göttingen, hat vor wenigen Wochen sein Buch vorgestellt mit dem Titel „Alles muss anders bleiben“. Darin widmet er sich intensiv auch seiner Zeit im Landtag vor mehr als 40 Jahren, und er schimpft auf das „Skandalland Niedersachsen“, das er in den späten Achtzigerjahren mit dem Namen des damaligen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht verbunden gesehen hatte. 1990 gewannen SPD und Grüne die Landtagswahlen, und Trittin schreibt: „Rot-Grün löste nach 14 Jahren Ernst Albrecht ab. Das ‚Skandalland Niedersachsen‘ mit dem Celler Loch und einer bankrotten Spielbank war Geschichte.“ Bessere Zeiten seien angebrochen.

Schwärmt von alten rot-grünen Zeiten: Jürgen Trittin in seinem neuen Buch. | Foto: Link

Da horcht man auf: Spielbank? Die Debatte über eine mehr als merkwürdige Konzessionsvergabe, aufbereitet in einem Untersuchungsausschuss, kostete Innenminister Wilfried Hasselmann 1988 das Amt. Und heute, 36 Jahre später? Die Erteilung der Spielbankkonzession durch Finanzminister Gerald Heere löst Wirbel aus, Ende Oktober wird der Fall vor dem Verwaltungsgericht Hannover verhandelt. Die Opposition im Landtag hat Akteneinsicht beantragt. Das Ende ist offen. Trittin sprach in seinem Buch noch vom „Celler Loch“. Damit war die damalige Praxis des Verfassungsschutzes in Niedersachsen gemeint, vom Staat bezahlten V-Leuten die Verübung von Straftaten zu erlauben, um sie in die radikale Szene (damals die RAF) einzuschleusen. Zu diesem Zweck hatten V-Leute in die Mauer der Haftanstalt in Celle ein Loch gesprengt. Später, nach der Albrecht-Zeit und in rot-grüner Verantwortung, wurden die Gesetze geändert und das Agieren von V-Leuten wurde strengeren Regeln unterworfen.

Und heute? Der Entwurf für ein neues Verfassungsschutzgesetz, den Innenministerin Daniela Behrens vorgelegt hat, will V-Leuten wieder mehr Straftaten gestatten. Anders, so die Begründung, könne man kaum Informanten in die radikale Szene – etwa die islamistische – einschleusen. Aber ist das nicht genau die Abkehr von den Lehren, die Trittin glaubt, aus der schlimmen Ernst-Albrecht-Zeit gezogen zu haben? Im heutigen Rundblick widmen wir uns den Details aus Behrens‘ Gesetzentwurf, der dem Politikjournal Rundblick exklusiv vorliegt. Vielleicht ein Tipp für alle, die in diesem Punkt die Innenministerin aufhalten wollen: Wie wäre es, wenn man für eine demnächst bevorstehende Anhörung im Landtags-Innenausschuss auch Jürgen Trittin als sachverständigen Zeitzeugen einlädt? Auf sein Urteil sind sicher viele gespannt…

„Celler Loch“, Spielbanken – alles kehrt irgendwann auf die Tagesordnung zurück. Es gibt keine Themen, die ein für allemal ausdiskutiert und erledigt sind. Die Politik ist ein ewiger Kreislauf ähnlicher Debatten mit Bedenken, Erwiderungen, Kritik und Verteidigung. Dieselben Muster, nur in stets neuen Variationen. Spannend bleibt das alles trotzdem. Vielleicht nicht trotz, sondern wegen der Tatsache, dass sich alles um die eigene Achse dreht?

Im heutigen Rundblick gibt es weitere Beispiele dafür:

  • Das neue Jagdgesetz könnte nicht nur den Konflikt zwischen Jägern und Naturschützern neu befeuern, sondern auch zwischen SPD und Grünen. Niklas Kleinwächter nennt die Details.
  • Die absehbare Bundestagskandidatur des Osnabrückers Boris Pistorius in Hannover stellt die sorgsam austarierten Machtgewichte in der Niedersachsen-SPD auf die Probe. Es könnte Verlierer geben. Das kommt der SPD, die jetzt auch noch ihren talentierten Generalsekretär Kevin Kühnert eingebüßt hat, höchst ungelegen.
  • Umweltminister Christian Meyer will das Kapitel Gorleben möglichst schnell beenden – und den Salzstock rasch zuschütten. Damit bloß keiner auf die Idee kommt, dort doch noch Atommüll abzuladen. Denn Meyer weiß ja auch: Wie das „Celler Loch“ kann auch die Endlager-Debatte noch mal wiederkehren. Nichts ist je endgültig erledigt, auch diese Standortfrage nicht.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen,

Klaus Wallbaum