TagesKolumne: Bürokratieabbau – und was das mit uns zu tun hat
Schade, dass ich es 2025 nicht zur Femworx geschafft habe, dem alljährlichen Karrierekongress für Frauen auf der Hannover Messe. Lebhaft ist mir noch vom vorigen Jahr das Love Bombing in Erinnerung, mit dem weibliche Fachkräfte umworben wurden. Julia Willie Hamburg strahlte in feministischem Lila, wie eine Kultusministerin nicht so oft Veranlassung hat zu strahlen. Stellenausschreibungen, die Frauen ansprechen sollen, forderte sie in ihrem Grußwort, müssen anders formuliert werden. Denn Frauen würden sich nur dann bewerben, wenn sie jede einzelne Anforderung erfüllen. Männliche Bewerber seien großzügiger zu sich selbst. Deswegen wäre ein Hinweis in der Stellenanzeige hilfreich: „Von den zwanzig genannten Kompetenzen genügen sechs“ – so, wie es tatsächlich auch gemeint sei.
Mir fällt dieser Moment wieder ein, wenn wir uns in unserer Serie „Papierkram für die Tonne?“ die Bürokratie ansehen, die bleischwer auf Niedersachsen lastet. Denn die Qualifikationen von Bewerbern zu prüfen scheint ein wesentlicher Teil des Papierkrams zu sein. Und ausgerechnet in zwei Branchen, in denen die Personalnot besonders groß ist – in der Pflege und in Hamburgs eigenem Zuständigkeitsbereich, an den Schulen – scheint es kaum Spielraum zu geben, um großzügig zu sein. Wenn ein Schulleiter eine Netzwerkadministratorin oder eine Kraft für die Nachmittagsbetreuung einstellen will, dann muss er, wie Sie heute im Rundblick lesen, ihre Qualifikationen erstmal umständlich in ein Formular eintippen. Dann bleibt ihm nur noch abzuwarten und zu hoffen, dass sie das Regionale Landesamt für Schule und Bildung (RLSB) überzeugen können.

Bürokratie, das sagen unsere Gesprächspartner immer wieder, ist so ziemlich das Gegenteil von Vertrauen: Vertrauen, dass ein Schulleiter sich selbst ein Bild davon machen kann, ob eine Bewerberin das mitbringt, was in seiner Schule gebraucht wird. Vertrauen, dass eine Stationsleitung selbst sieht, ob ihre Leute genug Erfahrung und Fingerspitzengefühl für ihren Job besitzen. „Dass wir einen Wust von Vorschriften haben“, erklärte Sozial-Staatssekretärin Christine Arbogast neulich bei einer Podiumsdiskussion der Barmer, „kommt aus dem Bedürfnis der Gesellschaft, alles abzusichern.“ Bürokratieabbau heiße daher für uns alle, dass wir nicht sofort zum Anwalt gehen dürfen, wenn uns eine Entscheidung nicht passt. Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal zum Anwalt gegangen sind, weil jemand anders einen Job bekommen hat, den Sie gerne gehabt hätten? Den meisten Leuten kann man diesen Vorwurf wahrscheinlich nicht machen. Und würden Sie zum Anwalt gehen, wenn Sie das Gefühl haben, Ihre Oma wird nicht professionell genug gepflegt? Vielleicht schon eher, oder? Aber würde das mutmaßlich helfen, ihren letzten Lebensabschnitt würdiger zu gestalten? Eben.
Wie kompliziert die Materie sein kann, lesen Sie ebenfalls heute im Rundblick. In den Hauptrollen: Kultusministerin Julia Willie Hamburg, ein ehemaliger Mitarbeiter von ihr und ein Konkurrent, der – Sie ahnen es schon! – vor Gericht gegangen ist, weil er einen Job nicht bekommen hat. Hier unsere Themen im Überblick:
- Verdacht gegen Hamburg erhärtet sich: Hat sie ein Gefälligkeitszeugnis ausgestellt?
- Die Caritas beklagt wachsende soziale Kälte. Doch dass sie ihre Jugendwerkstätten schließen musste, hat andere Gründe, hält das Jobcenter Hannover dagegen.
- Bürokratie-Serie, Teil 2: Papierkram statt Pädagogik
Ich wünsche Ihnen einen Dienstag, der nicht für die Tonne ist!
Ihre Anne Beelte-Altwig
Dieser Artikel erschien am 15.04.2025 in der Ausgabe #072.
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