Darum geht es: Im Streit um „presseähnliche Angebote“ der öffentlich-rechtlichen Sender warnen die Verleger vor einem Scheinkompromiss in der morgen startenden Ministerpräsidentenkonferenz. Sie sehen eine bedrohliche Wettbewerbsverzerrung für private Medien. Ein Kommentar von Martin Brüning.

Wenn erlernte Ängste mit erlernter Aggression gekoppelt werden, sprechen Hundebesitzer gerne von einem typischen „Angstbeißer“. Eine unangenehme Eigenschaft, die in der Medienpolitik seit Monaten allerdings den Ton angibt. Während sich öffentlich-rechtliche Medien Nordkorea-Vergleichen ausgesetzt sehen, wird den Zeitungsverlegern wiederum in diesem Zusammenhang die Verbreitung von „Fake News“ vorgeworfen. Die „Spiegel“-Geschichte „Die unheimliche Macht“ über die öffentlich-rechtlichen Medien kontert die NDR-„Panorama“-Redaktion mit dem Online-Artikel „Die unheimliche Kampagne gegen die ARD“. Währenddessen feilen Juristen im Vorlauf der Ministerpräsidentenkonferenz seit Wochen am Kleingedruckten. „Wie presseähnlich darf es denn sein“, lautet die dabei Grundsatzfrage.

Streit lenkt davon ab, die Hausaufgaben zu machen

Der Streit um die presseähnliche Ausdrucksform sorgt für skurrile Debatten, wie zum Beispiel, ob allein Text oder auch Text und Bild als presseähnlich zu gelten haben. Und er überhöht die Entscheidung der Ministerpräsidenten, die eben nicht über Wohl und Wehe der Zukunft privater oder öffentlich-rechtlicher Medien entscheiden wird. Er lenkt allein die Beteiligten davon ab, dringend nötige Hausaufgaben zu machen. So müssten sich die Verlage völlig unabhängig von ARD, ZDF und Deutschlandradio darüber Gedanken machen, wie ihre multimediale Zukunft aussehen kann. Die Angst vor der multimedialen Macht der Öffentlichen-Rechtlichen rührt auch daher, dass gerade bei vielen regionalen Verlagen die rumpeligen Internetseiten mit der schönen neuen digitalen Welt noch allzu wenig zu tun haben. Wer trotz sinkender Auflagenzahlen noch genug an der guten alten Zeitung verdient, macht sich eher weniger Gedanken über digitalen Journalismus, der eben nicht nur aus Texten und Bildern bestehen muss.

Was wollen wir – und was nicht mehr?

Den öffentlich-rechtlichen Medien wiederum hilft das Zurückholzen in diesem Streit angesichts der aktuellen Vertrauenskrise wenig weiter. Natürlich müssten sie in ihren Überlegungen schon viel weiter sein. Was wollen wir machen? Und vor allem: Was wollen wir nicht mehr machen, um für das, was wir machen wollen, genügend Gebührengelder zur Verfügung zu haben? Ein bisschen Einsparung hier, ein wenig mehr Kooperation dort: die bisherigen Vorschläge der Sender haben mit einer zukunftsweisenden Reform wenig zu tun. Die junge Generation sieht ihre Filme auf Netflix oder Amazon und hört Podcasts und Musik auf Spotify und iTunes – wo sehen die öffentlich-rechtlichen Sender eigentlich ihre Zukunft?

Warum gerade hier den Stecker ziehen?

Ein wichtiger Faktor wird in der Diskussion häufig gerne vergessen: der Verbraucher. Der würde sich durchaus neue, attraktive Angebote der Verleger wünschen und vielleicht auch dafür bezahlen. Und er will vermutlich auf die presseähnlichen Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender im Internet nicht mehr verzichten. Denn im Gegensatz zu zigfachen Tatort-Wiederholungen im Fernsehen und privatradioähnlichen Comedy-Formaten im Radio bekommt er hier endlich einmal einen sichtbaren journalistischen Gegenwert für seine 17,50 Euro im Monat, und dann auch noch zeitgemäß verpackt mit Text-, Audio- und Videokomponenten. Warum sollte man gerade hier politisch den Stecker ziehen? In Bremen arbeitet man jetzt zusammen. Auf der Internetseite des Weser-Kuriers sind auch Videos von Radio Bremen zu sehen. Warum auch nicht? Die digitale Kollaboration wird ohnehin die Zukunft sein. Der aktuelle Streit ist nicht nur kleinlich und von gestern, er wird auch keiner Seite einen einzigen zusätzlichen Leser, Hörer oder Zuschauer bringen. Fachleute geben uns Anlass zur Hoffnung: In den allermeisten Fällen können Angstbeißer erfolgreich therapiert und resozialisiert werden, heißt es.

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