Darum geht es: Noch anderthalb Wochen bis zur Landtagswahl in Niedersachsen. Die beiden Kontrahenten um das Ministerpräsidentenamt haben im Wahlkampf allerdings mit mehreren Problemen zu kämpfen. Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.

Stephan Weil beim Besuch in der Rundblick-Redaktion

Es läuft richtig gut für Stephan Weil im Augenblick. Gestern Abend haben ihm, bei zwei Großveranstaltungen in Emden und Cuxhaven, Tausende zugejubelt. Der SPD gelingt es derzeit anscheinend besser als der CDU, ihre Anhänger zu begeistern. Während Bernd Althusmann in die heiße Wahlkampfphase eher hineinstolpert und nicht optimal organisiert wirkt, läuft bei der SPD alles irgendwie professioneller. Weil darf ernsthaft auf ein Ergebnis in zehn Tagen hoffen, das noch vor Monaten undenkbar schien: Dass seine Sozialdemokraten am Ende klar vor den Christdemokraten liegen und er damit den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung bekommt.

Die Frage ist nur: Wie würde er dann diesen Auftrag erfüllen wollen? Hier sitzt der Ministerpräsident, durchaus seinem eigenen Verhalten geschuldet, strategisch in einer Falle.

Bei der CDU ist die Sache ziemlich klar: Althusmann hat wiederholt, mal mehr oder weniger deutlich, seine Skepsis gegenüber einer Zusammenarbeit mit den Grünen kundgetan, damit dürfte ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen für ihn sehr schwierig werden. Falls es für Schwarz-Gelb allein nicht reichen sollte, wonach es aussieht, gerät damit die Große Koalition, das Zusammengehen von Christ- und Sozialdemokraten, in Reichweite. Althusmann würde das wohl auch machen. Wie aber sieht es bei der SPD aus? Es dürfte vermutlich nicht mehr für Rot-Grün reichen, und ein Ampel-Bündnis mit FDP und Grünen ist denkbar wohl nur nach einer Palastrevolte bei den Freien Demokraten – zu deutlich hat FDP-Spitzenkandidat Stefan Birkner zu dieser Variante bisher nein gesagt. Kommt deshalb für die SPD genauso wie für die CDU eine Große Koalition in Betracht? Wohl nein, und das liegt an Weil.

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Sicher: Der Kommunal-Flügel der SPD steuert klar in diese Richtung. Von einigen Ministern, etwa Boris Pistorius (Innen) und Olaf Lies (Wirtschaft) hat man auch diesen Eindruck. Doch der Ministerpräsident selbst, eher im linken SPD-Milieu aufgewachsen und geprägt, geht immer klarer auf Distanz zur Union. Seine Parteitagsrede Anfang September war in dieser Hinsicht entlarvend. Mit Blick auf die Überläuferin der Grünen zur CDU erklärte er, bei der Missachtung des Wählerwillens handele es sich „um einen Teil des christdemokratischen Erbguts“, gleichzeitig meinte er, die CDU habe „viele Tricks drauf, aber wenig Anstand“. Dass es sich bei dieser Rede um eine Entgleisung im Eifer des Gefechts gehandelt haben könnte, ist unwahrscheinlich – denn in kleinerer Runde wiederholte Weil mehrfach diese Einschätzung. Er verachtet die CDU. Gleichzeitig vermied er es strikt, auf Fragen nach seiner Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Linkspartei klar zu antworten.

Die Umfragen gehen in eine Richtung, in der am Ende zwei Varianten denkbar wären – Rot-Rot-Grün oder Rot-Schwarz. Bei Weil drängt sich zunehmend der Eindruck auf, dass ihm im Zweifel die Linken als Partner lieber wären als die Christdemokraten. Das entspräche sogar einer gewissen Logik, denn die niedersächsischen Grünen sind mehrheitlich mittlerweile so links gestrickt, dass sicher eine große Mehrheit der künftigen Fraktion mit den Linken keine Probleme hätte, mit der CDU aber schon.

Weil ist auch deshalb in der SPD derzeit so stark, weil die anderen Machtzentren der Partei in Niedersachsen so schwach sind wie selten zuvor in der Nachkriegsgeschichte.

Bei der SPD hingegen kann man den Eindruck bekommen, dass eine Richtungsdebatte nicht einmal intern geführt wird. Die einst mächtigen Parteibezirke Hannover, Weser-Ems und Braunschweig wirken, was die Debattierlaune angeht, erlahmt. Der hannoversche SPD-Bezirk ist quasi führungslos, da sein Vorsitzender Stefan Schostok als OB der Landeshauptstadt stark beansprucht ist. Der SPD-Bezirk Weser-Ems wird von Landtags-Fraktionschefin Johanne Modder geleitet, die zwar eher als konservative SPD-Frau gilt, aber in puncto Ablehnung der CDU auf der Seite von Weil steht – und sicher kein strategisches Gegengewicht zum Ministerpräsidenten bilden will.

Der SPD-Bezirk Braunschweig, früher Heimat der traditionellen, Linkspartei-kritischen Sozialdemokraten, ist in einem bemitleidenswerten Zustand  – der bisherige Vizekanzler Sigmar Gabriel, prominentestes Mitglied, denkt an einen Abschied aus der Politik, der Vorsitzende Hubertus Heil ist Opfer einer parteiinternen Intrige in der Bundestagsfraktion geworden und will deshalb demnächst sein Amt als SPD-Generalsekretär hinschmeißen. Mit anderen Worten: Weil ist auch deshalb in der SPD derzeit so stark, weil die anderen Machtzentren der Partei in Niedersachsen so schwach sind wie selten zuvor in der Nachkriegsgeschichte.

Ein böses Erwachen kann all jenen drohen, die Weils durchaus überzeugend präsentiertes Landesvater-Image so interpretieren, dass er im Zweifel ein Bündnis der Mitte statt eines Linksbündnisses anführen würde. Hier fallen die allgemeine Erwartung und die tatsächliche Ausrichtung des Regierungschefs offenbar auseinander. Was geschieht, wenn am Ende Rot-Grün in Niedersachsen von Rot-Rot-Grün abgelöst wird? Personaleinsparungen im öffentlichen Dienst, die schon wegen der Digitalisierung unumgänglich werden dürften, lehnt die Linke nicht nur kategorisch ab – sie will die Stellen dort sogar vermehren. Die Linkspartei sieht Gymnasien kritisch und ruft nach mehr Gesamtschulen, sie will den Verfassungsschutz abschaffen, die Abschiebungen nicht anerkannter Asylbewerber blockieren und die Bundeswehr aus Niedersachsen verdrängen – der Truppenübungsplatz in Bergen, der Fliegerhorst Wunstorf und andere Militäreinrichtungen sollen geschlossen werden, Rüstungsproduktion wird verdammt. Den Bau neuer Autobahnen solle „verhindert werden“. Das ist eine ganz eigene rot-rot-grüne Perspektive für das Land.

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