Stephan Weil im Pech
Darum geht es: Die plötzliche Entlassung des Bevollmächtigten in Berlin, Michael Rüter, versetzt der rot-grünen Landesregierung einen neuen Tiefschlag – den vierten in Folge. Und das vier Wochen vor der Bundestags- und sechs Wochen vor der Landtagswahl. Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Erst fehlte ihm das Glück – und dann kam noch ziemlich viel Pech hinzu. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil erlebt die dunkelsten Stunden seiner Amtszeit, gestern musste er einen engen Vertrauten, Michael Rüter, vor die Tür setzen. Die Vorwürfe, gravierende Mängel in einer Auftragsvergabe, klingen für sich genommen nicht besonders schwerwiegend. Das Vergaberecht ist nun mal so kompliziert und verwinkelt, dass deutsche Behörden damit ständig in Konflikt geraten – und immer mit dem Verdacht verbunden, ein bestimmtes oder befreundetes Unternehmen gezielt bevorzugen zu wollen. So ist es auch hier.
Also viel Aufregung um wenig? Nein, Weil ist kein Opfer einer überhitzten politischen Stimmung in Niedersachsen. Zur ernsten Belastung werden die Vorgänge deshalb, weil das Krisenmanagement in der Staatskanzlei – wieder einmal – nicht funktioniert hat. Das häuft sich inzwischen. In der Kultuspolitik hat das Land viel Geld investiert, aber die Atmosphäre an den Schulen ist aufgeladen, die Unterrichtsversorgung bleibt mangelhaft. Man hat den Eindruck, dass das Ministerium die Probleme einfach nicht in den Griff bekommt. Als die Vergabeaffäre aufkam, zunächst im Wirtschaftsministerium, wirkte die Hausspitze überrascht über viel Dilettantismus und Fünfe-gerade-sein-Lassen auf tieferen Ebenen. Ein Führungsproblem wurde offenbar. Dann schwappte die Sache herüber zur Staatskanzlei, deutlich wurde eine jahrelange Unproduktivität und gegenseitige Blockade der zuständigen Stellen bei nichts Wichtigerem als der Suche nach einem neuen Landesmotto. Mehrere Staatssekretäre waren beteiligt und gerieten darüber aneinander – eine fast schon satirereife Entwicklung. Schließlich dann der Übertritt der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU mit der bekannten Folge des Verlustes der rot-grünen Mehrheit im Landtag. Und jetzt auch noch Rüter, nach Udo Paschedag und Daniela Behrens der dritte Staatssekretär, der gehen muss.
Für sich genommen mag der Vorgang, der Rüter zu Fall bringt, nicht spektakulär sein. Man könnte sogar Weil Respekt zollen, dass er auch eine solche Regelüberschreitung mit der Entlassung des Handelnden bestraft. Das war richtig, denn vorsätzlicher Rechtsbruch darf auch dann nicht geduldet werden, wenn die Summen überschaubar bleiben. Nur sind die Begleitumstände alles andere als vorteilhaft für den Ministerpräsidenten, weil auch sie wieder die Schwerfälligkeit und fehlende Krisenresistenz seiner Regierung belegen. Schon im Mai, als Behrens gehen musste, war klar, dass die Auftragsvergaben der Landesregierung parlamentarisch untersucht werden. Weil hätte damals auf die Schnelle alle Unterlagen sichten, die Vorwürfe einstufen und reinen Tisch machen können – wenn denn die Regierung intern zügig, zuverlässig, vertrauensvoll und geordnet agieren würde. Doch es dauerte Monate, gerade im aktuellen Fall rund um Rüter habe er erst in der vergangenen Woche das Ausmaß der Vorwürfe erkannt, sagte Weil gestern. Wenn man böswillig ist, könnte man auch vermuten, dass die Regierung die stille Hoffnung hegte, die Sache würde wegen der vorgezogenen Neuwahlen ganz unter den Tisch fallen, da auch bei CDU und FDP jetzt der Wahlkampf wichtiger sein könnte als die Sachaufklärung im Parlament. Erst als klar war, dass Christ- und Freidemokraten nicht locker lassen würden, zog Weil die Konsequenzen und setzte Rüter vor die Tür.
Was bleibt, ist das Bild eines Regierungsgebäudes, dessen Fassade jeden Tag ein wenig mehr bröckelt. Erst bricht ein Stein weg, dann der nächste und bald wieder der nächste. Jedes Mal sind es weniger die Anlässe, die Empörung auslösen – sondern schlicht der Eindruck, Rot-Grün fehle die ordnende und gestaltende Kraft zur Selbstreinigung und Erneuerung. Den richtigen Zeitpunkt, mit der Faust auf den Tisch zu hauen und mit neuen Leuten, neuen Programmen und neuen Zielsetzungen noch einmal anzufangen, hat Stephan Weil längst verpasst. Nun ist es dafür zu spät.
Das Tragische ist, dass SPD und Grüne in vielen Absichten und Zielen den Wettbewerb mit den anderen sehr gut bestehen können, in vielen Feldern sogar die besseren Konzepte haben. Nur geht es bei der Landtagswahl darum nicht, sondern einzig um die Frage, wem die Menschen mehr zutrauen, das Land sicher in eine gute Zukunft führen zu können.