Fast wäre sie zu spät gekommen. Als Ministerpräsident Stephan Weil am Mittwochmittag die alten und neuen Minister in den ehrwürdigen „Leibnizsaal“ des Landtags bat, weil er die Urkunden aushändigen musste, fehlte Frauke Heiligenstadt. Dann nahte sie eiligen Schrittes – und stand erst 20 Sekunden an der richtigen Stelle, als ihr Name aufgerufen wurde. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn die Kultusministerin ihre Entlassungsurkunde nicht erhalten hätte. Ob der Nachfolger Grant Hendrik Tonne dann seine Ernennungsurkunde überhaupt hätte bekommen dürfen?

Diese Episode zählt zu den vielen kleinen Dingen, die an solchen Tagen eben passieren – und über die man gern noch Jahre später erzählt. Bei einer Wahl des neuen Ministerpräsidenten, wie sie gestern im neuen Landtagsplenarsaal geschehen ist, regiert nun mal das Protokoll, jeder einzelne Schritt ist sorgfältig geplant. Kleinste Abweichungen können gravierende Auswirkungen haben. Und wenn dann Unvorhergesehenes geschieht, lockert das die bei solchen Anlässen übliche Steifheit etwas auf.

Das weiß auch Stephan Weil, und da er ein Meister im Absolvieren solcher festlichen Termine ist, hat er sich auch für diesen Tag etwas einfallen lassen. Es sind kleine Neckereien, die der alte und neue Ministerpräsident verteilt, damit die Feierlichkeit nicht allzu großen Ernst ausstrahlt und der Humor nicht verloren geht. Das geschieht weniger bei den ausscheidenden Ministern von SPD und Grünen, mehr dagegen bei den neuen von CDU und SPD.

„Ich bin übrigens Stephan Weil…“ – Weil stellt sich der neuen Justizministerin Barbara Havliza vor

Als Barbara Havliza in den Leibnizsaal kommt, die neue Justizministerin, steuert der Ministerpräsident auf sie zu und sagt: „Ich bin übrigens Stephan Weil…“ Die Ministerin lacht, tatsächlich waren sie und ihr Chef sich bis dahin wohl noch nicht begegnet. Dann ist Boris Pistorius an der Reihe, der keine Ernennungsurkunde, sondern nur ein Bestätigungsschreiben erhält. Weil meint zu ihm: „Du bekommst ja eine neue Aufgabe.“ Pistorius stutzt, später sagt er dann im kleinen Kreis, der Ministerpräsident habe sich wohl versprochen, natürlich bleibe seine Aufgabe die alte.

Als Minuten darauf Olaf Lies nach vorn tritt, murmelt Weil: „Die Urkunde, die Du hättest haben können, ist es ja nun nicht.“ Lies lacht laut los, und die Beobachter rätseln nur: Geht es um das Kultusministerium, das der bisherige Wirtschaftsminister anstelle des Umweltministeriums hätte leiten sollen? Die Bemerkung bleibt unaufgeklärt.

Kurz danach wird Agrarministerin Barbara Otte-Kinast vom Ministerpräsidenten mit Handschlag begrüßt, und weil sie Weil einen falschen Namen hat sagen hören, verbessert sie ihn: „Kinast, nicht Künast“. Für Björn Thümler, den neuen Wissenschaftsminister, der just an diesem Tag Geburtstag hat, hat Weil noch eine Flasche parat: „Rotwein für Männer im höheren Alter“, spottet er und beglückwünscht „zum Sechzigsten“. Tatsächlich ist Thümler erst 47 geworden.

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Doch die kleinen Frotzeleien des Ministerpräsidenten sind willkommene Ablenkung in einer ansonsten sehr spannungsarmen, von der Zeremonie beherrschten Veranstaltung. Nur am Nachmittag bekommt die Sache noch einen Höhepunkt, als ausgerechnet der sonst so routinierte Pistorius sich bei der Eidesformel verhaspelt, unwillkürlich lachen muss und dann einen Schwur abgibt, der wohl nicht ganz der vorgegebenen Norm entspricht. Doch das Parlament ist großzügig, jeder hat für die Aufregung in diesem Moment Verständnis.

CDU: AfD sieht sich schon in der Opferrolle

Die Landtagssitzung hat am Morgen mit einem Streit darüber begonnen, ob nicht doch jede Fraktion im Parlament einen Landtagsvizepräsidenten stellen sollte. Neben SPD und CDU kommen die Grünen zwar zum Zuge, weil die SPD einen ihrer Posten abtritt, aber FDP und AfD gehen leer aus. FDP-Mann Christian Grascha erinnert CDU-Landeschef Bernd Althusmann daran, dass er vor fast zehn Jahren es als „demokratisch und fair“ bezeichnet habe, kleine Parteien mit Posten zu berücksichtigen. „Das ist nun wohl unter die Räder gekommen“, rügt Grascha.

Klaus Wichmann von der AfD kritisiert, den anderen Parteien gehe es in der Vizepräsidentenfrage nicht um die vorgegebene Stärkung der Opposition, sondern „um das Belohnen alter Weggefährten unter dem Deckmantel demokratischer Teilhabe“. Eine „Zweiklassenopposition“ werden sichtbar, wenn man die AfD ausgrenzen wolle – etwa bei der Sitzordnung, mit der man AfD-Fraktionschefin Dana Guth, weil sie vorn allein ohne Fraktionskollegen sitzt, „in die Isolationshaft“ verbannt habe. Darauf entgegnet später CDU-Fraktionsgeschäftsführer Jens Nacke in Richtung AfD: „Schon am ersten Tag wollen sie sich hier in eine Opferrolle begeben, das wird ihnen aber nicht gelingen.“ Bei der folgenden Wahl der Vizepräsidenten fällt der AfD-Kandidat durch, alle anderen erhalten breite Unterstützung, nur die FDP enthält sich – und einige Grüne stimmen auch bei den CDU-Kandidaten nicht mit.

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Die früher stets mit der größten Aufmerksamkeit versehene Wahl des Ministerpräsidenten schließt sich daran an – und sie verläuft in diesem Jahr so unspektakulär wie selten zuvor. Da die Mehrheiten nicht knapp sind, sondern üppig, fiebert auch niemand dem Ergebnis für Stephan Weil entgegen. Am Ende bekommt er 104 Stimmen in geheimer Wahl, seine SPD/CDU-Koalition hat 105 Mandate. Mit Nein votieren 32 Abgeordnete, so viele, wie die Opposition Stimmen hat. Ein Abgeordneter hat sich enthalten.

Immerhin: Die neue Große Koalition zeigt schon bei der ersten Abstimmung große Geschlossenheit. Danach beginnt das, was auch Weil mit seinem Verhalten so exzellent vorgemacht hat – Lockerungsübungen. CDU-Minister plaudern mit SPD-Ministern, CDU-Mitarbeiter mit SPD-Mitarbeitern. Beide Lager, die mehr als 40 Jahre lang immer auf verschiedenen Seiten gestanden hatten, nehmen nun verstärkt Tuchfühlung miteinander auf – auch wenn das alles noch ein wenig vorsichtig und distanziert geschieht. Und das Wetter draußen, das am Morgen kühl, nass und dunkel begonnen hat, hellt im Verlauf dieses Tages immer mehr auf. Wenn das kein gutes Omen ist. (kw)