Der Niedersächsische Städtetag (NST) hat bei der Kommunalen Hochschule für Verwaltung eine Umfrage in Auftrag gegeben, die Erschreckendes zutage gefördert hat: Die Gewaltbereitschaft bei Kunden, die mit Rathaus-Mitarbeitern oder Bürgermeistern zu tun haben, ist offenbar recht hoch. Gefragt wurden zunächst die Bürgermeister und Oberbürgermeister der Mitgliedsverbände des NST, und 84 Fragebogen wurden zurückgeschickt – das ist eine Teilnahmequote von rund 70 Prozent. Die Verwaltungschefs wurden nach eigenen Einschätzungen und Erfahrungen gefragt – und auch danach, was ihren Mitarbeitern widerfahren ist.

Pressekonferenz nach der Hauptversammlung des Niedersächsischen Städtetages – Foto: kw

Die Ergebnisse hat Prof. Johanna Groß vom Zentrum für Organisations-Diagnostik der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in der Städteversammlung des NST vorgestellt und erläutert. Jeder dritte Befragte gab an, dass mindestens einmal im Monat Betrunkene in der Verwaltung erscheinen und auffällig sind – oder dass sie dann sogar randalieren. Schilder und Türen werden beschädigt, Möbel umgeworfen.

60 Prozent der Rathaus-Mitarbeiter wurden schon bedroht

Die Hälfte der Bürgermeister gab an, dass Mitarbeiter im Rathaus mindestens einmal im Monat beschimpft werden oder auf andere Weise verbalen Aggressionen ausgesetzt sind. Für ein Drittel der Befragten gilt sogar, dass dies mindestens einmal wöchentlich der Fall ist. In etwa 60 Prozent der Fälle seien Mitarbeiter bereits mindestens einmal in ihrer Berufslaufbahn bedroht worden, für 40 Prozent gilt, dass sie bereits mindestens einmal körperlich angegriffen worden sind. Für die Bürgermeister und Oberbürgermeister selbst gilt, dass sie besonders häufig im Netz und in sozialen Netzwerken beschimpft werden, 35 Prozent gaben an, auch schon bedroht worden zu sein.

Etwa 20 Prozent erklärten, sie seien auch bereits sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen – dabei handelt es sich zumeist um Frauen, die die Opfer sind. Die Bürgermeister wurden auch nach einer Einschätzung dazu gefragt, wo sie die Ursachen für diese Entwicklung sehen. Genannt werden eine geringe Frustrationstoleranz bei denen, die die Verwaltung aufsuchen, auf „problematische Einstellungen und Werte“, sowie auf falsche Erwartungen und Fehleinschätzungen der Rolle der Kommunalverwaltung. Dass Sprachbarrieren ein Grund sind, etwa bei Bürgern mit Migrationshintergrund, wurde auch gefragt – doch die meisten Bürgermeister sehen hier keine Relevanz.

Bauliche Veränderungen könnten helfen

Städtetag-Präsident Ulrich Mädge und sein Vize Frank Klingebiel fordern mehrere Schritte: Bauliche Veränderungen in den Behörden könnten der Gewaltbereitschaft entgegenwirken, ein Informationssystem solle sicherstellen, dass Amtsträger informiert werden, wenn sie von bestimmten Gruppen auf „schwarze Listen“ gesetzt werden. Die Betreiber von sozialen Netzwerken sollten Hass-Posts umgehend löschen müssen. Außerdem müsse die Beleidigung und Bedrohung von Amts- und Mandatsträgern strafrechtlich stärker geahndet werden. Bisher muss die Drohung direkt ausgesprochen werden, um ein Verfahren auszulösen – eine Andeutung, wie sie oft verwendet wird und dennoch eindeutig ist, reicht als Hürde im Strafgesetzbuch bisher noch nicht aus. Nutzer von sozialen Netzwerken sollten gesetzlich verpflichtet werden, dort ihre Klarnamen zu verwenden.


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In der Städteversammlung erklärte Ministerpräsident Stephan Weil am Donnerstag, dass man eine „Distanz zu den Institutionen des Staates“ spüre. Eine Vielzahl von Regelverletzungen sei heute erkennbar. Die Demokratie brauche aber „echte Demokraten“, alle müssten das System verteidigen. Landtagsvizepräsident Bernd Busemann sagte, man spüre eine „wachsende Respektlosigkeit“, die sich nicht auf die Politik und Amtsträger beschränke, die auch in Schulen und im Verhalten der Generationen untereinander bemerkbar sei.

Justizministerium erhöht die Anzahl der Wachtmeister in den Amtsgerichten

Unterdessen verstärkt das Justizministerium die Kontrollen in den 80 Amtsgerichten in Niedersachsen. Die meisten haben nur zwei oder drei Wachtmeister zum Schutz – das reicht nicht, um alle Besucher am Eingang kontrollieren zu können. Deshalb werden künftig auf Landgerichtsebene „mobile Teams“ eingerichtet mit zunächst 53 weiteren Wachtmeistern, die bald ihren Dienst antreten sollen. Immer dann, wenn ein Prozess bevorsteht, sollen die Teams die Amtsgerichte aufsuchen und personell verstärken.

Im Rechtsausschuss des Landtags warnte Justizministerin Barbara Havliza (CDU) vor Forderungen, die Zahl der Wachtmeister je Amtsgericht zu erhöhen. „Wenn die Forderung laut wird, wir bräuchten fünf Wachtmeister je Amtsgericht, dann haben wir sofort die Strukturdebatte, ob wir überhaupt so viele kleine Amtsgerichte in Niedersachsen benötigen“, sagte Havliza. Die Koalition habe sich aber bewusst entschieden, die Standorte der kleinen Gerichte (mit manchmal nur zwei Richtern) nicht in Frage zu stellen. „Bei zwei oder drei Richtern passen fünf Wachtmeister aber nicht“, sagte Havliza.