Städtetag fordert: Deutschland muss vor Ort beim Wiederaufbau in der Ukraine helfen
Der Deutsche Städtetag erwartet bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise mehr Mannschaftsgeist von Bund und Ländern. „Wir haben deutlich gemacht, dass die Kommunen nicht am Spielfeldrand stehen. Es gibt aber keine gerechte Aufgabenverteilung, es braucht jetzt echtes Teamplay“, sagte Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) nach den Sitzungen von Präsidium und Hauptausschuss des Städtetags in der niedersächsischen Landeshauptstadt.
Genauso sieht es auch sein Kollege aus Leipzig, der Städtetag-Vizepräsident Burkhard Jung (SPD). „Wir werden es aus eigener Kraft wahrscheinlich nicht schaffen, die Unterkünfte bereitzustellen, die wir ab Februar und März benötigen. Wir brauchen hier die Schlagkraft des Bundes und der Länder“, sagte Jung und berichtete: „Es gibt in vielen Städten für die Geflüchteten kein freies Bett mehr. Ich habe in Leipzig schon zwei Zeltstädte aufbauen lassen, doch trotz Ausbau sind die Kapazitäten bald vollständig erschöpft.“ Hannover hat knapp 10.000 Ukrainer untergebracht, 5000 weitere werden im nächsten Quartal erwartet. „Fast 40 Prozent der Ankommenden waren Minderjährige – darunter auch viele Kinder im Kindergartenalter“, sagte Onay. Um für den zusätzlichen Ansturm gerüstet zu sein, fordert der kommunale Spitzenverband die Bereitstellung von weiteren Bundesimmobilien sowie Hilfe beim Aufbau von Notunterkünften und Containerdörfern.
Nach Angaben des Städtetags sind derzeit rund 1,1 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland registriert. Zudem hätten bis Oktober zusätzlich 160.000 Menschen aus anderen Herkunftsländern Asylanträge gestellt. Nach Einschätzung des Städtetag-Vizepräsidenten ist die Flüchtlingsbewegung derzeit sogar größer als bei der Flüchtlingskrise 2015/16. Angesichts des Winters und der russischen Kriegsstrategie, gezielt die Infrastruktur für die Versorgung der Zivilbevölkerung anzugreifen, erwartet Jung in den nächsten Monaten weitere Flüchtlingswellen.
„Wir sind daher gut beraten, wenn wir in der Ukraine selbst beim Aufbau zerstörter Infrastruktur helfen. Mehr Städte in der Ukraine müssen winterfest werden“, betonte Jung, der sich im regelmäßigen Austausch mit Vitali Klitschko befindet, dem Bürgermeister der Leipziger Partnerstadt Kiew. Außerdem forderte der Städtetagvertreter eine ausgewogenere Verteilung der Flüchtlinge in Deutschland. „Ich glaube, dass wir allein mit dem Königsteiner Schlüssel nicht mehr weiterkommen. Die Belastung ist sehr unterschiedlich. Es gibt Städte, die überlaufen, und Regionen, die noch Möglichkeiten haben.“
Ärger über „Wohngeld Plus“
Scharfe Kritik übt der Deutsche Städtetag an der Wohngeld-Reform, die ab 1. Januar in Kraft treten soll. „Die Idee ist gut. Aber wir rechnen mit einer Verdreifachung der Antragstellenden und die Prozesse sind sehr aufwändig“, sagte Städtetag-Präsident Markus Lewe und rechnet mit Verzögerungen bei der Auszahlung – auch aufgrund von Software-Problemen, die durch die Umstellung entstehen. „Wir haben die Sorge, dass der ganze Frust darüber bei den Kommunen abgeladen wird und das zu einem echten Vertrauensschaden führt“, meinte der CDU-Oberbürgermeister von Münster und äußerte den Verdacht, dass das Problem bei der Bundesregierung immer noch nicht angekommen ist.
„Das Wohngeld Plus wird für viele Menschen eine echte Hilfestellung. Aber die Umsetzung ist nicht wirklich mitgedacht worden“, kritisierte auch Onay und prophezeite: „Es wird lange Wartezeiten geben.“ Das Verfahren zur Wohngeld-Beantragung beschrieb er als „sehr knifflig“. „Es gibt dabei viele Prüfungsschritte – da hätte uns der Bund mit vielen Vereinfachungen entgegenkommen können“, ärgerte sich der Grünen-Politiker. Lewe und Onay drängen daher auf Nachbesserungen, um das Bearbeiten der Wohngeld-Anträge zu vereinfachen „Ministerpräsident Stephan Weil hat uns versprochen, alle Hebel in Bewegung zu setzen. Das hat uns sehr gefreut, aber dem müssen jetzt auch Taten folgen“, meinte Onay. Am Freitag stimmt der Bundesrat über das Wohngeld-Plus-Gesetz ab.
Städtetag erwartet Blackouts
„Beim Gas kommen wir wahrscheinlich mit Ach und Krach über den Winter. Beim Strom sieht das etwas anders aus“, sagte Städtetagpräsident Lewe. Er rechnet mit Stromausfällen mit Längen zwischen wenigen Minuten bis hin zu mehreren Stunden. Als Reaktion auf die gestiegenen Anforderungen an den Katastrophenschutz forderte Lewe mehr Ausstattung und Personal. „Wir sind erstaunt, dass der Bund das Budget für das bundesweite Sirenenprogramm kürzt, anstatt es auszuweiten“, kritisierte er und betonte: „Das Bundesamt für Katastrophenschutz muss hier zum wichtigsten Player werden, um die Menschen zu erreichen.“
Dieser Artikel erschien am 24.11.2022 in der Ausgabe #209.
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